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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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dort müsst ihr ohne Hilfe zum Wohnheim zurückfinden.«
    Ich schaute mich um. Alle hatten ihre Jacken angezogen – wohl in der bösen Vorahnung, dass eine Schikane drohen könnte –, aber einige waren ohne Handschuhe oder Mützen erschienen. Ich hatte ebenfalls keine Kopfbedeckung, und meine Haare waren nass. Obwohl der heiße Zorn, der mir von allen Seiten entgegenschlug, vermutlich ausreichte, um mich warm zu halten.
    »Wir stellen Regeln nicht zum Spaß auf«, fuhr Trinity mit ihrer scharfen Stimme fort. »Sie kultivieren euch. Manchmal weisen sie euch einen bestimmten Platz in der Hierarchie zu, und manchmal sorgen sie ganz einfach für eure Sicherheit. Ihr müsst diese Regeln befolgen. Und jetzt sollt ihr erfahren, was geschieht, wenn ihr sie nicht befolgt.«
    Sie umkreiste die Gruppe und sah jede Einzelne von uns geringschätzig an. »Regel Nummer eins: kein persönlicher Besitz. Obwohl nur Acari Drew gegen diese Regel verstoßen hat, müsst ihr alle die Konsequenzen tragen. Regel Nummer zwei: Nie nach der Ausgangssperre ins Freie gehen. Regel Nummer drei: Nie vom vorgegebenen Weg abweichen. Heute Nacht werdet ihr in der Wildnis ausgesetzt, nach der Ausgangssperre, weit weg von jedem Weg, und ihr werdet sehen, wie es Acari ergeht, die gegen die Regeln verstoßen.«
    »Raus!« Masha setzte ihre Peitsche ein, um uns zum Ausgang zu scheuchen. Sie gab den Eingeweihten einen Wink und befahl: »Verbindet ihnen die Augen! Acari, ihr habt noch nicht zu Abend gegessen, und ihr bekommt auch nichts für unterwegs. Wir teilen euch in vier Gruppen ein, die wir an vier verschiedene Punkte der Insel bringen und dort sich selbst überlassen. Seht zu, dass ihr lebend zurückkommt.«
    Furcht ergriff Besitz von mir. Sie machte mich langsam und schwerfällig. Jemand packte mich grob von hinten und legte mir eine Augenbinde aus einem dichten, kratzigen Stoff um. Ich wurde zu den anderen Mädels geschubst, und gemeinsam tasteten wir uns ins Freie.
    Ronan hatte vorhergesagt, dass der Wind auffrischen würde, und tatsächlich schlug mir bittere Kälte entgegen. Meine langen Haare brauchten sicher eine halbe Ewigkeit, bis sie trocken waren. Schon jetzt prickelte meine Kopfhaut, weil ein Teil der Körperwärme durch die Schädeldecke entwich. Feuchtigkeit biss in meine Wangen. Schnee. Ich begann zu zittern.
    Außerdem hatte ich seit dem Frühstück, das nur aus einem Joghurt bestand, keine richtige Mahlzeit mehr zu mir genommen. Mittags war ich länger im Hörsaal geblieben, um mit Judge zu arbeiten, und hatte danach keine Zeit mehr zum Essen gefunden. Allein der Gedanke daran löste ein heftiges Magenknurren aus.
    Ich war schon jetzt ein Wrack – wie sollte ich die Nacht überstehen?
    Sie teilten uns in Gruppen ein und schoben uns in Fahrzeuge – sehr wahrscheinlich jene überdimensionalen SUV s, die uns nach der Landung abgeholt hatten. Obwohl ich nicht genau sagen konnte, wie viele Personen sich in unserem Wagen befanden, schätzte ich die Zahl auf mehr als fünf und weniger als zehn.
    Wir fuhren. Und fuhren. Ich hatte mir bis jetzt nicht bewusst gemacht, wie groß die Insel war. Da wir im Kreis zu fahren schienen, hatte ich auch keine Ahnung, wie wir jemals zurückfinden sollten.
    Wir fuhren in eine Nacht, die ebenso finster wie meine Gedanken war. Der iPod war mir egal, aber den Verlust des Fotos empfand ich als schmerzhaft. Das einzige Bild, das ich von meiner Mutter hatte. Für immer verloren. Meine Verzweiflung wuchs.
    Im Wagen herrschte Stille. Man hörte nur die Schaltgeräusche, das Rascheln von wetterfesten Jacken und das schwere Atmen der verängstigten Mädchen. Dann quietschten Bremsen, und wir flogen nach vorn. Ein dumpfer Aufprall und ein Schlenker, als wir irgendein Tier überfuhren, das über die Straße lief.
    Ich erschauerte. Definitiv kein gutes Omen.
    Der Wagen wurde langsamer und rumpelte über einen Feldweg. Wir hielten an.
    »Augenbinden abnehmen, Acari!« Das war Mashas Stimme. Ich fragte mich, wer sonst noch alles im Auto war.
    Ich zerrte den Stoffstreifen vom Kopf und rieb die Stellen unter den Augen, wo er die Haut wund gescheuert hatte. Amanda saß am Steuer, neben ihr Masha. Außer mir befanden sich noch sechs Acari an Bord, und mein Magen verkrampfte sich, als ich Lilou entdeckte. Aber die herzgesichtige Emma war auch da, und das gab mir ein wenig Mut.
    »Blöde Schlampe«, zischte ein dunkelhaariges Mädchen, das sich an mir vorbei ins Freie schob. Ich hatte sie schon öfter in der

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