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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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wie schmelzende Butter.
    Unvermittelt löste er die Hände. Kühle umgab mich. » Das war meine Magie.«
    »Oh«, sagte ich kleinlaut. Die Erinnerung an seine Hände schien sich durch das Material meines Neoprenanzugs zu brennen. Ich rollte mit den Schultern, um das Gefühl zu verscheuchen. »Versprichst du mir, das nie wieder zu tun?«
    »Ich verspreche dir nur so viel: Du kannst weit mehr erreichen, als du denkst.«
    »Weil ich so klug bin?«
    »Weil du so stur bist«, fauchte er.
    Ich lachte, geschmeichelt, dass er in mir nicht nur die unheimliche Intelligenzbestie sah. Selbst wenn er mich im gleichen Atemzug als widerspenstig abstempelte.
    Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. Diesmal spürte ich keine übernatürlichen Kräfte, nur die ganz normale Wärme, die er ausstrahlte. »Ich glaube, du hast dich dein Leben lang unter Wert verkauft. Du unterschätzt deine Fähigkeit, Illusion und Realität zu trennen. Du bist eine der gescheitesten, eine der tapfersten jungen Frauen, die ich je kennengelernt habe, Annelise.«
    Eine tiefe Gemütsbewegung schnürte mir die Kehle zu. Denn zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich, dass jemand mein Wesen erfasste. Dass mich jemand verstand. Bislang hatte mich kein Mensch wahrgenommen. Niemand hatte sich um mich gekümmert. Immer hatte ich mich einsam gefühlt, fremd, ohne Freunde. Die Erkenntnis, wie sehr ich mich nach Beachtung gesehnt hatte, traf mich wie ein Schock.
    Er strich mir die Haare hinter die Ohren, und mir wurde heiß und kalt zugleich. »Glaubst du, dass du es schaffst, dich im Wasser einfach treiben zu lassen?«
    Ich wusste nicht, was es mit Ronans Lobreden auf sich hatte, aber irgendwie machten sie mich stark. Ich hatte das Gefühl, mehr leisten zu können, als ich mir zugetraut hatte. »Yeah, ich schätze, das müsste klappen.«
    Er führte mich in die Bucht hinaus und blieb erst stehen, als mir das Wasser bis zur Brust reichte. Der Neoprenanzug fühlte sich seltsam schwer an – ein kühler Wall, der von allen Seiten gegen meinen Körper presste. Ronan legte einen Arm um meine Schultern und ließ mich langsam in Schräglage gleiten, bis ich meine Füße vom Boden löste. »Entspann dich! Stell dir vor, dass sich dein Bauch wie eine Brücke zum Himmel wölbt.«
    Ich entspannte mich. Ein wenig. Bis er mich losließ und meine Füße nach unten sackten, als hätte ich sie mit Blei beschwert.
    Im nächsten Moment spürte ich seine kräftigen Finger im Kreuz und im Nacken. »Noch einmal. Du darfst nicht so verkrampfen. Im Becken geht es doch auch. Das hier ist nichts anderes.«
    Ich hatte die Lippen fest zusammengepresst, aber irgendwie war doch Wasser in meinen Mund gelangt, eiskalt und salzig. Ich nickte knapp und gab einen Laut von mir, der angesichts der Umstände begeisterte Zustimmung ausdrücken sollte.
    »Heißt das, dass du bereit bist?«
    Ich erstarrte von Neuem und hob erschrocken den Kopf. »Ich denke, ich schwimme bereits.«
    Er hob sacht mein Kinn an und kippte mich nach hinten. »Ich lasse jetzt wieder los.«
    Er machte seine Drohung wahr, und ich sank wie ein Betonblock in die Tiefe. Instinktiv fing ich mich ab und kam zum Stehen.
    »Annelise Drew!« Das klang streng. Ronan drückte mich wieder in Rückenlage, diesmal etwas weniger sanft. »Das Wasser ist nicht tiefer als einen Meter. Entspann dich! Atmen hilft.«
    »Ich atme«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich tat, was ich konnte, um den Kopf über Wasser zu halten. Aber es blubberte in meinen Ohren, lief mir in die Nase und versetzte mich in Panik.
    »Nein, zumindest nicht gleichmäßig. Lass den Kopf weit nach hinten sinken!«
    »Kannst du mich nicht irgendwie mit diesem ganz besonderen Blick hypnotisieren? Mich überzeugen, dass ich eine gute Schwimmerin bin oder so?«
    »Da musst du schon allein durch.«
    Eine Welle schwappte mir ins Gesicht, und ich zuckte zurück. Ronans stützende Finger rutschten weg. O Gott! Ich spürte etwas an meinem Hintern. War das etwa Ronans Hand? Ich erstarrte. Meine Gedanken durchdrangen das dicke Material des Anzugs.
    Das war Ronans Hand.
    Die Erkenntnis hatte die unangenehme Nebenwirkung, dass ich erstarrte und meine Beine wie zwei Holzscheite nach unten sanken.
    Selbst Ronans Geduld hatte ihre Grenzen. »Ach, Ann, nun stell dich nicht so an!« Das klang entnervt, wütend, aber auch eine Spur belustigt.
    Doch anstatt mich über die Zurechtweisung zu ärgern, löste sie eine lange verschüttete Erinnerung aus. Meine Mutter hatte

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