Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
Phäno-Vorlesung gesehen.
Es gab noch mehr gewisperte Kommentare und einen Tritt gegen das Schienbein. »Danke, du Zicke!«, raunte eine, und eine andere: »Du hältst dich wohl für was Besonderes?«
Die Gruppe, in die man mich gesteckt hatte, war allem Anschein nach gewieft und kreativ.
Ich kletterte als Letzte aus dem Wagen und machte mich auf einiges gefasst. Amanda, die immer noch hinter dem Steuer saß, musterte meine nassen Haare und presste die Lippen zusammen.
»Nun?« Masha beugte sich aus dem Fenster. »Worauf wartet ihr noch, Acari? Macht euch auf den Heimweg! Und nehmt euch vor Monstern in Acht!«
Monster? Meine Gedanken wanderten zu Master Alcántara, wie so oft in jüngster Zeit. Eine Woge widerstrebender, angsterfüllter Faszination erfasste mich, als mir die glühenden Augen in den Sinn kamen, die mich bei meinem nächtlichen Lauf angestarrt hatten. Und ich fragte mich, welche sonstigen Schrecken hier draußen in der Wildnis lauern mochten.
Reifen knirschten über Kies. Dunkelheit hüllte den SUV ein, der sich rasch entfernte. Die Rückleuchten waren noch eine Weile zu erkennen, dann machte der Weg eine Kurve, und sie verschwanden ebenfalls.
Es war finster. Echt finster. Wolken verdeckten die meisten Sterne. Tief am Horizont flackerte ganz schwach ein Nordlicht.
Trotz der Finsternis merkte ich, dass alle Augen auf mich gerichtet waren.
Ein peitschender Wind zerrte an unserer Kleidung. Lilou zog ihre Mütze tiefer in die Stirn. Sie sah die anderen Mädchen herausfordernd an. »Los, Leute! Wir gehen. Alle bis auf dich.« Sie trat dicht vor mich hin. Ich wich keinen Millimeter zurück, aber das beeindruckte sie nicht sonderlich. »Jetzt mal langsam zum Mitschreiben, Unterschicht. Ich bin sicher, dass hier draußen das beschissenste Kroppzeug nur darauf wartet, sich auf uns zu stürzen. Gemeinsam sind wir vielleicht stark genug, uns zur Wehr zu setzen. Aber du hast uns diesen Mist eingebrockt. Und deshalb werden wir dir nicht aus der Patsche helfen, wenn es brenzlig wird.«
»Genau genommen hast du uns diesen Mist eingebrockt, du Petze!«
Lilou starrte mich an, und der Hass zauberte ein irres Lächeln auf ihre Züge. »Wen interessieren schon so lächerliche Details?«
Die anderen Mädchen wandten sich zum Gehen. Es war ein surreales Bild, sie in die Nacht hinausstapfen zu sehen. Als mir meine elende Lage zu Bewusstsein kam, begann ich zu zittern, vor Kälte und vor Angst.
Ich konnte Geometrie-Lehrsätze beweisen und Althochdeutsch übersetzen, aber letztlich war ich nur eine Vorstadtratte aus Florida. Ich würde hier draußen umkommen, einsam und allein erfrieren.
Aber ich hatte gelernt, mich im Meer treiben zu lassen. Es war bestimmt nicht schwerer, den Heimweg durch die Schneefelder zu finden.
Emma stellte sich neben mich. »Ich komme mit dir«, sagte sie leise.
Lilou begann gellend zu lachen. »Freaks!« Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Wenn ihr uns nachschleicht, seid ihr tot!«
Damit wirbelte sie herum und lief den anderen nach, während wir im Dunkel zurückblieben.
Ich ließ mich auf einen Felsblock plumpsen, schlang die Arme eng um den Körper und zog die Knie hoch. Der Schüttelfrost, der mich erfasst hatte, ließ nicht nach. »Ich erfriere . Was machen wir nur?«
»Zurückmarschieren«, gab Emma zur Antwort. »Sitzen bringt nichts. Steh auf und beweg dich!«
Ich folgte ihrem Rat, sprang auf und ab und versuchte verzweifelt, mir durch Ausschütteln der Arme und Beine etwas Wärme zu verschaffen. Die Bewegung verursachte ein Schwindelgefühl. »O mein Gott, ich bin am Verhungern. Ich habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Getrunken, ja, zum Glück, aber ich habe nichts Festes im Magen. Wie soll ich da einen längeren Fußmarsch überstehen? Eigentlich müsste ich das wissen, aber ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, bis man vor Hunger ohnmächtig wird.« Meine Zähne klapperten, und ich plapperte in meiner Panik ohne Punkt und Komma.
Emma sah prüfend zum Himmel und hörte sich nebenbei mein Geschwätz an. »Du glaubst, dass du hungrig bist, aber das stimmt gar nicht. Außerdem bringt dich der Hunger ganz sicher nicht um.«
»Wow, cool, danke für den Tipp!« Kräftig die Arme reibend, trat ich neben sie. Mein Blick folgte dem ihren. Gemeinsam starrten wir in den bewölkten Nachthimmel. Ich versuchte das Problem wissenschaftlich anzugehen. »Diese Insel misst von einem Ende zum anderen garantiert nicht mehr als vier Meilen. Soviel ich weiß, befinden
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