Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
sprechen.“
„Sie wollten ihm erzählen, was geschehen war.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wie sollte ich …“ Sie räusperte sich wieder. „Ich habe ihm gesagt, dass ich meine Meinung geändert habe und Philip Ascot nicht länger heiraten will. Mein Vater hat mich natürlich nicht ernst genommen. Diese Heirat bedeutete ihm alles, und die Tatsache, dass ich furchtbare Angst vor Philip hatte, zählte nicht.“ Zum ersten Mal schaute sie Tom in die Augen. Ihre Miene zeigte solches Elend, dass er sich am liebsten abgewandt hätte, aber das gestattete er sich nicht. Er hatte die Wahrheit erfahren wollen, und er war es ihr schuldig, sie jetzt nicht im Stich zu lassen.
„Das also ist die Antwort auf Ihre Frage“, schloss sie. „Ja. Es ist möglich, dass ich ein Kind erwarte, weil ich zu höflich und zu wohlerzogen war, Philip davon abzuhalten … ihn aufzuhalten.“
Ein Gedanke ließ ihm keine Ruhe. „Und seit … diesem Abend“, begann er zögernd, wagte sich auf unbekanntes Gelände, „hat es kein … äh, haben Sie nicht mehr Ihren Monats…“ Überfordert verstummte er. Er hatte keine Ahnung, wie man mit einer Frau über solche Sachen sprach, besonders mit einer Frau wie Deborah.
Ihre Wangen röteten sich. „Ich hatte in der Beziehung noch nie einen verlässlichen Rhythmus, sodass ich mir, bis Sie mich gefragt haben, nichts dabei gedacht hatte.“ Sie stand auf. „Entschuldigen Sie. Ich bin auf einmal ganz müde.“ Sie ging ins Schlafzimmer und legte sich mit dem Gesicht zur Wand.
Das Wissen um das, was sie erlitten hatte, glomm in Tom weiter. Er spürte einen heftigen dunklen Aufruhr in sich, Empörung und Wut, und es gab kein Ventil dafür. Er sprang auf und lief nach draußen, machte sich nicht die Mühe, sich einen Mantel und Handschuhe anzuziehen. Er stürzte sich auf das Feuerholz, spaltete mit der langstieligen Axt ein Scheit nach dem anderen, aber die heiße Wut in ihm kühlte sich nicht ab. Da war eine Frau, die einem Mann vertraut hatte, die gar nicht gewusst hatte, wie ihr geschah, und die sich nicht gewehrt hatte, weil die Gesellschaft sie dafür verurteilen würde.
Die Tatsache, dass Philip Ascot sie vergewaltigt hatte, erklärte so viel. Ihr langes angespanntes Schweigen. Ihre furchtsame Reaktion, wenn sie berührt wurde. Ihr Mangel an Selbstvertrauen rührte aus dem Umstand, dass sie gezwungen worden war, einen Mann wie eine billige Hure zu befriedigen.
Es war eine Sache, das alles zu verstehen, aber etwas völlig anderes, ihr zu helfen. In dem Versuch, sich zu beruhigen, hörte er mit dem Holzhacken auf und starrte auf seine großen wunden und sich pellenden Hände. Sein schwer gehender Atem stand in weißen Wolken in der kalten Luft. Die Verletzung, die sie erlitten hatte, würde nicht durch Salben und Verbände heilen. Es war eine Wunde in ihrem Selbst, in ihrer Seele und es stand ihm nicht zu, weiter darin herumzustochern.
Doch er wollte es. Er wollte, dass es ihr nicht länger wehtat. Sie verdiente nicht, was ihr angetan worden war.
Er fragte sich, ob er sie als Geisel genommen und aus Chicago entführt hätte, wenn er gewusst hätte, was sie erlitten hatte. Ob er sie zu dem Kuss an Bord der Suzette gezwungen hätte. Vermutlich schon. Sein Zorn und sein Hass auf Sinclair waren so allumfassend gewesen, dass kein Platz gewesen wäre für Mitleid. Jetzt jedoch bedeutete sie ihm mehr als ein Handelsgut. Sie war für ihn ein Mensch aus Fleisch und Blut geworden, jemand mit Hoffnungen und Träumen und Ängsten, so wie jeder andere auch. Und es war ihm alles andere als gleich, wie es ihr ging. Es war ihm wichtiger, als es das sein sollte.
28. KAPITEL
D eborah presste beide Hände auf ihren Bauch, versuchte sich vorzustellen, dass dort ein Baby heranwuchs, unter ihrem Herzen. Egal, wie sehr sie sich bemühte, sie konnte es nicht glauben, es nicht spüren, sich nicht ausmalen. Sie sagte sich, dass es womöglich gut so war. Vielleicht war es nicht wahr, wenn sie nicht zu viel darüber nachsann.
Aber, ob nun wahr oder nicht, in einer Sache war sie sich sicher – der Abend in der Oper hatte stattgefunden. Nachdem sie sich so viele Wochen vor der Wahrheit versteckt hatte, war sie gezwungen gewesen, sich damit zu konfrontieren. Sie war erstaunt, wie tief der Schmerz ging. Und ihr war klar, dass Tom Silver sie nie wieder im selben Licht sehen würde wie vorher.
Am Tag nach ihrem unverzeihlichen Zusammenbruch und ihrem Geständnis erinnerte sie sich beschämt an das Gespräch.
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