Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
kann?“
„Unsinn! Was bringen sie dir in der Schule eigentlich bei?“
„Eindeutig nicht genug, dass ich dir begreiflich machen kann, was ich meine“, erwiderte sie.
„Arrangierte Ehen sind die Eckpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft. Liebe kommt nicht über Nacht. Du musst Geduld und Verständnis aufbringen, und vor allem musst du Gehorsam beweisen, denen gegenüber, die wissen, was das Beste für dich ist.“
„Ich werde Philip niemals lieben, Vater. Niemals.“
„Die Gelegenheit, in die Familie Ascot einzuheiraten, ergibt sich nicht so oft. Philip ist ein Einzelkind, und er hat keine Cousins. Du brauchst diese Ehe, Deborah.“
„Nein, du brauchst sie. Und Philip braucht sie. Trotz seiner blaublütigen Abstammung ist er praktisch mittellos. Er hat seinen Namen. Du hast das Vermögen. Gemeinsam habt ihr beide alles, was ihr euch wünscht. Ich kann mir nicht vorstellen, womit ich dir dienen kann. Mach ihn einfach zu deinem Sohn, dann hast du, was du willst.“ Die Worte waren aus ihr herausgesprudelt, ehe sie hätte darüber nachdenken können. Jetzt, da sie ausgesprochen waren, wünschte Deborah, sie könnte sie in der Luft fassen und machen, dass sie verschwanden. Aber es war zu spät.
Ihr Vater stand da, starrte sie an, und sein Gesicht zeigte den entsetzten Ausdruck eines Mannes, dem man ein Messer in den Rücken gestoßen hatte.
Obwohl er es nie zugeben würde, hatte Arthur Sinclair sich immer unterlegen gefühlt, weil sein Geld von der Oberschicht als „neu“ angesehen wurde. Und für ihn war die Meinung der gesellschaftlich Tonangebenden überaus wichtig. Er sehnte sich nach der einen Sache, die ihm sein Geld nicht kaufen konnte – die Patina von Generationen alten Adels. In seinem Kopf – und in den Köpfen, die zu beeindrucken er sich bemühte – besaß geerbtes Vermögen eine besondere Qualität, die dem Reichtum von Männern, die sich emporgearbeitet hatten, abging. Er würde nie in der Lage sein, seiner Herkunft zu entfliehen, aber er konnte sich einen weiteren Schritt von ihr entfernen, indem er seine einzige Tochter und Erbin mit dem makellos aristokratischen Philip Widener Ascot IV. verheiratete.
Natürlich hatten sie nie offen darüber gesprochen, und dass Deborah jetzt die Dinge beim Namen genannt hatte, lag allein an ihrer Verzweiflung. Aus Bedauern darüber, ihn verletzt zu haben, sagte sie: „Du bist ein guter Mann, Vater. Der Beste, den es gibt. Ob ich Philip nun heirate oder nicht, daran wird sich nichts ändern.“
Langsam nahm sein Gesicht wieder eine normalere Farbe an. Er sah nicht länger wütend oder streng aus, sondern unendlich enttäuscht.
„Vater, ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir zu streiten“, erklärte sie ruhig.
Mühsam, als bereitete jede Bewegung ihm Schmerzen, ließ er sich auf seinen Stuhl sinken. Immer wenn Deborah ihn anschaute, sah sie einen Titanen der Industrie, einen Mann, der überlebensgroß zu sein schien, der beeindruckender war als jeder andere Mann, dem sie je begegnet war. Doch heute Abend war etwas anders. Er sah einfach wie ein Mann aus, der unendlich müde war. Sie konnte allerdings nicht sagen, ob ihre Wahrnehmung sie nicht trog.
„Habe ich dir je erzählt, was deine Mutter an dem Tag zu mir gesagt hat, als sie gestorben ist?“, fragte er nach einer langen Pause.
Deborah konnte den plötzlichen Themenwechsel nicht ganz nachvollziehen, aber ihr Vater wirkte nun gefasster. Sie war es ihm schuldig, zuzuhören, was er ihr zu sagen hatte. „Über den Tag hast du ganz wenig gesprochen“, antwortete sie. „Ich weiß, es muss schmerzhaft für dich gewesen sein.“
Sie war erst drei gewesen, als ihre Mutter starb bei einer Totgeburt, dem Versuch, einem Sohn das Leben zu schenken. Deborah hatte an ihre Mutter nur eine Erinnerung. Es war nur ein Aufblitzen von Bewusstsein, nicht wirklich eine vollständige Erinnerung. Dafür war sie zu jung gewesen. Aber dadurch war ihr dieser flüchtige Eindruck umso teurer.
Manchmal, wenn Deborah ihre Augen schloss und alles andere an den Rand drängte, konnte sie diese Erinnerung wachrufen, schmerzlich lebendig und nach Veilchen duftend. Sie konnte wieder die Berührung der kühlen Hand ihrer Mutter auf ihrer Stirn spüren und sich an das Gefühl erinnern, von ihrer Liebe umfangen zu werden. Selbst so viele Jahre später noch konnte sie im Geiste ihre leise Stimme sagen hören: „Schlaf schön ein, mein kleines Mädchen. Schlaf ein.“
Und das war alles. Vielleicht war das nie so
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