Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
geschehen, vielleicht hatte Deborah es sich eingebildet, weil sie sich so nach einer liebevollen Erinnerung an eine Mutter sehnte, die sie nie gekannt hatte. Aber egal. Sie glaubte, dass es so geschehen war, und sie würde auf die Erinnerung niemals verzichten wollen. Sie barg sie in ihrem Herzen, trotzig und verkrampft, wie eine Perle in einer geschlossenen Faust, die man um keinen Preis der Welt bereit war herzugeben.
Ihr Vater hatte nicht wieder geheiratet, weil ihn da bereits Ehrgeiz und Stolz in ihrem Griff hielten. Er würde sich nur mit einer Ehefrau aus den höchsten gesellschaftlichen Rängen zufriedengeben … Doch so eine Frau würde niemals einen vulgären Emporkömmling wie ihn nehmen. Erbittert hatte er seine ganze Energie in Deborahs Erziehung gesteckt, damit sie das erlangte, was ihm verwehrt blieb – Klasse. Er fragte sie nie, ob sie das wollte; er ging einfach davon aus, dass sie gesellschaftliches Ansehen ebenso schätzte wie er.
Er und Deborah hatten nur einander. Er betrachtete sie als seinen kostbarsten Schmuck, und würde nichts weniger als einen Ascot der vierten Generation als Ehemann für sie akzeptieren.
„Was hat sie gesagt, Vater?“, erkundigte sie sich leise.
„Sie wusste, sie würde … uns verlassen“, antwortete er fast barsch, wandte sich wieder zum Safe um. „Sie hatte … Blutungen. Das Letzte, was sie zu mir sagte, war: ‚Mach ihr Leben perfekt. Mach alles für sie perfekt.‘“
Deborahs Sicht verschwamm, Tränen verschleierten ihren Blick. Sie stellte sich vor, wie diese letzten Augenblicke für ihre Mutter gewesen sein mussten, ihren tot geborenen Sohn im Arm haltend und wissend, dass sie ihre kleine Tochter nicht würde aufwachsen sehen. Und die ganze Zeit über hatte ihr Vater Wache gehalten, den Verlust seiner Ehefrau und seines einzigen Sohnes betrauert.
„Das ist alles, was ich zu tun versuche“, erklärte Arthur. „Ich versuche, für dich alles perfekt zu machen, dir das Leben zu geben, das sich deine Mutter für dich gewünscht hat. Und, bei Gott, ich werde dafür sorgen, dass es geschieht.“
Im stillen Haus zischte das Gaslicht leise. Deborah wusste, ihr Vater meinte es gut, aber sie wusste auch, sie konnte Philip Ascot nicht heiraten. Und auch sonst niemanden, wie es aussah. Das musste sie ihrem Vater begreiflich machen und dafür sorgen, dass er es ihr irgendwann, wenn genug Zeit verstrichen war, auch verzieh. Nachdem sie ihr Leben lang mit dem Ziel gelebt hatte, es ihrem Vater recht zu machen, würde die Aussicht, sich ihm in dieser unvergleichlich wichtigen Angelegenheit zu widersetzen, sogar die willensstarke Lucy oder die praktisch veranlagte, robuste Kathleen einschüchtern. Phoebe würde vermutlich ebenso abgestoßen sein wie Deborahs Vater, denn sie fand nichts erstrebenswerter, als den gut aussehenden schneidigen Erben einer der ältesten Familien des Landes zu ehelichen. Ein Teil des Heiratsabkommens bestimmte, dass das berühmte Anwesen der Ascots, Tarleton House in der Innenstadt von New York, renoviert und als ihr Hauptwohnsitz hergerichtet werden würde. Alle in Miss Boylans Schule waren der Meinung, dass es klang wie ein Traum, der wahr wurde, so sehr, dass Deborah völlig vergessen hatte, sich selbst zu fragen, ob es das war, was sie wollte.
Deborah hatte keine Unterstützer in dieser Auseinandersetzung mit ihrem Vater. „Bitte“, sagte sie, „können wir darüber reden …“
„Ganz bestimmt nicht“, fiel er ihr ins Wort. „Ich habe alles gesagt, was ich zu der Angelegenheit zu sagen habe.“
Ihr Gesichtsausdruck veranlasste ihn zu dem Nachsatz: „Geh ins Bett, Liebes. Wir sind beide müde. Am Morgen wirst du dich bei Philip entschuldigen und hoffen, er vergibt dir, dass du so ein Dummerchen gewesen bist.“ Er zog die Schnallen an dem Sack mit seinen wichtigen Papieren zu und trat zur Tür des Zimmers. „Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen willst, ich muss die Dienerschaft wegen des Feuers früher als gewohnt nach Hause schicken.“
Ein lauter Knall wie von einem Gewehr durchbrach die Nacht. Deborah richtete sich in ihrem Bett auf, schrie schon, bevor sie richtig wach war.
Ihr Blick fiel auf die französischen Fenster mit den Spitzenvorhängen. Dem zornigen orange glühenden Himmel nach zu urteilen schätzte sie, dass die Morgendämmerung bereits eingesetzt hatte. Aber dann flackerte der Himmel unruhig, und ihr fiel wieder das Feuer ein. Gütiger Himmel, war es immer noch nicht unter Kontrolle gebracht
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