Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
sie ihren Fehler bemerkte, schlug sie sich rasch eine Hand vor den Mund.
„Da haben Sie natürlich recht“, antwortete er. „Vielleicht sollte ich ihm ein Ohr oder einen Finger von Ihnen schicken?“
„Das hier ist ein Albtraum“, flüsterte sie. „Das darf alles nicht wahr sein.“
Eine Weile musterte er sie aus schmalen Augen, dann zog er ein gefährlich scharf aussehendes Messer aus seinem Stiefelschaft.
Deborah stieß einen spitzen Schrei aus und flüchtete zur Tür. Mit einem Satz war er bei ihr, packte eine Handvoll ihres Haares und benutzte die Klinge, um eine dicke blonde Locke davon abzuschneiden. „Das sollte reichen“, erklärte er und steckte das Messer wieder zurück.
Sie stöhnte und betastete ihre Haare.
Er ließ sie allein in der Kombüse zurück, sprachlos und wie gelähmt von der Tatsache, dass sie mit einem Schlag alles auf der Welt verloren hatte und dabei war, in die Wildnis zu reisen, in Begleitung von zwei Wahnsinnigen.
8. KAPITEL
S chornsteine und Getreideheber reckten sich gespenstergleich aus dem Nebel, der die Stadt Milwaukee einhüllte. Am Heck des Kutters spürte Tom die Gegenwart des Mädchens wie das Gewicht eines Albatrosses auf seiner Schulter. Jetzt verstand er nur zu gut das lange Gedicht, das Frère Henri mit ihm einen Winter lang studiert hatte. Ein Mann musste die Last seiner Taten mit sich tragen, und er konnte nie wieder zu dem werden, der er einst gewesen war.
Er hatte die Frau spontan und ohne lange zu überlegen entführt, und jetzt gehörte sie ihm, war vollkommen abhängig von ihm. Die Tochter von Arthur Sinclair auf dem Boot als Geisel zu halten, war schiere Idiotie, aber um Rache zu nehmen, war es vermutlich wirkungsvoll. Der Herrgott allein wusste, wie die Angelegenheit enden würde. Von der ganzen verdammten Sache tat ihm der Kopf weh, was ihm häufiger passierte, seit Deborahs Vater ihm fast den Schädel eingeschlagen hätte. Die Schwellung war zurückgegangen, aber der Schmerz hatte nicht nachgelassen.
Seine Geisel befand sich im Ruderhaus, lief auf und ab, blieb ab und an vor einem der Fenster stehen, um zur Stadt zu sehen. Aus irgendeinem Grund musste er an früher denken, als er ein Junge gewesen war und einmal einen Schmetterling gefangen hatte. Er war wunderschön gewesen, gelb und leuchtend blau, mit großen spitz zulaufenden Flügeln und Fühlern so fein wie Seidenfäden. Er hatte das Geschöpf in ein Glas getan, einen Zweig Jelängerjelieber als Futter hineingelegt und sorgfältig Löcher in den Metalldeckel gebohrt. Am Morgen hatte er den Schmetterling tot vorgefunden, die Flügel eingerissen von den Versuchen, wegzufliegen, und das Jelängerjelieber war ganz welk und braun gewesen.
Deborah hatte seit Tagen nichts gegessen.
Er wunderte sich, warum sie nicht einen erneuten Fluchtversuch unternommen hatte. Sie machte einen resignierten Eindruck, als hätte sie aufgegeben. Entweder war es ein Trick, um ihn in Sicherheit zu wiegen, bis sich wieder eine Gelegenheit bot, oder sie hatte sich in ihr Schicksal gefügt. Er marschierte über das Deck und riss die Tür zum Ruderhaus auf. Als er eintrat, drehte sie sich zu ihm um und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. Der Hund, den sie Smokey nannte, hob seine Lefzen und knurrte leise, verließ aber seinen Lieblingsschlafplatz auf der Kombüsenbank nicht.
„Sie müssen irgendetwas essen.“ Tom nahm einen Dose mit Zwieback aus dem Regal, öffnete den Deckel und hielt sie ihr hin. „Sie sind dürr wie ein Besenstiel.“
„Und Sie“, entgegnete sie, „haben die Manieren eines Höhlenmenschen.“
Er stellte eine Flasche Apfelmost neben die Zwiebackdose.
Müde seufzend schob sie Dose und Flasche von sich. „Ich habe weder Hunger noch Durst.“
„Essen Sie, verdammt noch mal.“ Er fragte sich, was zur Hölle, er nur mit ihr anfangen sollte. „Sie werden noch krank, wenn Sie so weitermachen.“
„Ich bin bereits krank“, sagte sie mit einer Mischung aus Verachtung und Genugtuung, während sie sich neben dem Hund auf der Bank niederließ.
Bei ihren Worten stellten sich ihm die Nackenhaare auf. „Was, zum Teufel, soll das heißen?“
Sie musterte ihn einen Augenblick lang. „Das macht Ihnen Angst, nicht wahr?“, meinte sie, sichtlich angetan von dieser Vorstellung. „Sie haben furchtbare Angst davor, ich könnte sterben, während ich Ihre Geisel bin.“
„Frau, es ist mir herzlich egal, ob Sie leben oder sterben“, erwiderte er barsch. „Aber wir verlassen uns darauf, dass es
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