Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
lassen.“
„Ich brauche Ihre Hilfe nicht.“
„Wenn Sie erst einmal gefasst sind, werden Sie im Gefängnis landen.“
„Ich werde ganz bestimmt nicht im Gefängnis landen“, meinte er.
„Warum sind Sie sich da so sicher?“
„So etwas passiert Leuten wie mir oder Lightning Jack nicht.“
„Sie tun so, als wüssten Sie eine Menge über Entführungen. Sagen Sie, haben Sie so etwas schon früher getan?“
„Das kann ich nicht behaupten“, räumte er ein. „Hatte nie einen Grund dafür.“
„Aber Ihre Fehde mit meinem Vater gibt Ihnen einen Grund?“, fragte sie.
Sein Gesicht versteinerte sich. „Das ist keine Fehde. Er kann alles rasch beenden, indem er kommt, um Sie zu holen.“ Er blickte auf die dicht bedruckten Blätter auf dem Tisch. „Wenn er denn kommt.“
„Ihr Herz ist aus Stein. Sie haben keine Ahnung, was Liebe, Freundschaft und Familie bedeuten.“
Tom stand jäh auf, und seine breiten Schultern verdeckten das Tageslicht. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war finster, und zum ersten Mal, seit er sie in jener schrecklichen Sonntagnacht gepackt hatte, blickte sie ihm geradewegs in die Augen. Sie waren von einem tiefen Braun. Dunkel und mit Wimpern, die an einem weniger beeindruckenden Mann albern mädchenhaft gewirkt hätten.
Und in diesem Moment sah sie in diesen braunen Augen einen Schmerz, der so tief ging, dass sie zusammenzuckte und wegsehen musste. Sie wollte den Grund für diesen Schmerz nicht wissen, wollte nicht an Tom Silver als einen Mann denken, der derartige Gefühle hatte.
12. KAPITEL
L ake Superior war so tief, dass sich in seinem Wasser nicht das Blau des Himmels widerspiegelte. Als Deborah sich über die Reling der Suzette beugte, um das Gewässer genauer zu betrachten, hatte es einen dunklen undurchdringlich stählernen Farbton, der ihr irgendwie unbehaglich war. Die Weite und Verlassenheit der Wildnis vermittelte ihr das Gefühl, als hätte sie mit dem Überwinden der Stromschnellen einen anderen Planeten erreicht, so sehr unterschied es sich hier von allem, was sie je gekannt hatte.
Sie entschloss sich, an Deck Platz zu nehmen, obwohl der eisige Wind aus Norden den kommenden Winter gnadenlos ankündigte. In die warme Wollkleidung gehüllt, die Tom Silver ihr besorgt hatte, fror sie nicht – sie hatte ihm dafür noch nicht einmal gedankt, und sie hatte auch nicht vor, es zu tun. Sie hatte Gullivers Reisen zu Ende gelesen und sich dann in den völlig absurden, aber restlos fesselnden Abenteuerroman Reise zum Mittelpunkt der Erde von Jules Verne vertieft, bei dem sie sich auf die Hände setzen musste, um nicht vor Spannung an den Fingernägeln zu knabbern. Silver besaß auch eine Ausgabe des neusten Buches von Horatio Alger, aber nachdem sie nur ein paar Seiten gelesen hatte, hatte Deborah es zur Seite gelegt. Sie musste kein Buch darüber lesen, wie man den großen amerikanischen Traum wahr werden ließ. Schließlich brauchte sie nur an ihren Vater zu denken, und sie kannte die ganze Geschichte.
Mehr noch, sie hatte am eigenen Leib erfahren, dass dieser scheinbar so verlockende Traum eben auch seine Schattenseiten hatte.
Silver und Lightning Jack waren der Meinung, die Bergbaugesellschaft ihres Vaters sei verantwortlich für eine schreckliche Tragödie. Ob sie recht hatten oder nicht, war umstritten. Aber eines wusste Deborah mit Sicherheit, nämlich dass die Firmen ihres Vaters überaus gewinnträchtig arbeiteten, auch wenn sie nur einen sehr vagen Begriff von den täglichen Abläufen dort hatte. Die Sinclair-Bergbau-Gesellschaft unterhielt Minen überall rund um die großen Seen. Von Zeit zu Zeit ging ihr Vater auf Inspektionstour, aber sie war nie eingeladen worden, ihn zu begleiten. Wenn sie an all die Unternehmen dachte, die ihren Vater zu einem der reichsten Männer in Amerika gemacht hatten, war ihre Vorstellung sehr abstrakt – gesichtslose Arbeiter, die dem Boden das Erz abrangen, es verluden und zu den Hochöfen brachten, bevor es dann ins ganze Land verkauft wurde.
Sie kamen an Copper Harbor an der Spitze der Michigan-Halbinsel vorbei. Deborah erinnerte sich daran, dass der Ortsname in den Geschäftsgesprächen ihres Vaters gefallen war, aber das war alles. Sie schämte sich ihrer Unwissenheit.
Mit den besten Absichten hatte ihr Vater verhindert, dass sie genauere Kenntnis seiner Geschäfte bekam. Seiner Ansicht nach durften Frauen mit so vulgären Angelegenheiten wie Industrie und Handel nicht ihren Verstand überfordern. Sie war nicht so naiv
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