Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
hatte Deborah nie zuvor erblickt.
Es war ihr gelungen, den Kutscher und das Kindermädchen zu überreden, ihr zu erlauben, das irische Mädchen in die Kutsche steigen zu lassen und sie mit zu sich nach Hause zu nehmen. Dort angekommen hatte sie dafür gesorgt, dass sie ein Bad erhielt und saubere Kleider. Das gestrenge britische Kindermädchen hatte die ganze Zeit protestiert, aber Deborah hatte nicht nachgegeben. Es war so viel einfacher, standhaft zu bleiben, wenn man für einen anderen einstand und nicht für sich selbst.
Statt den Kopf einzuziehen und demütig Dankbarkeit zu zeigen, hatte Kathleen die Freundlichkeit einfach akzeptiert. Sie hatte ihrer verlorenen Butter und der verschütteten Sahne nicht hinterhergeweint, sondern hatte den Koch der Sinclairs überzeugt, sich in Zukunft Milchprodukte von ihrer Mutter liefern zu lassen.
Deborahs Vater war der Meinung, französische Zofen seien am geeignetsten, für eine junge Dame aus den höchsten Kreisen zu arbeiten. Aber davon wollte Deborah nichts wissen. Sie wollte Kathleen. „Wenn du möchtest, dass sie Französisch lernt“, verkündete sie ihrem Vater, „dann kann sie mit mir zum Unterricht kommen.“
Eine Woche später, während Deborah unruhig in ihrem Zimmer auf und ab lief, hatte ihr Vater jemanden zu den O’Learys geschickt, um ihnen darzulegen, dass es gut sei, wenn sie zuließen, dass ihre Tochter als Deborahs Zofe angestellt werde. Gleich von Beginn an hatte es eine besondere Freundschaft zwischen den beiden Mädchen gegeben. Da sie keine Mutter hatte, der sie ihre Geheimnisse hätte anvertrauen können, teilte sie alles, was sie bedrückte oder freute, mit Kathleen. Kathleen, die nie ein eigenes Bett gehabt hatte, lernte ein neues Leben kennen. Und so ging es Jahr um Jahr, und ihre Mädchenfreundschaft hatte sich vertieft und war gereift.
Ach, Kathleen. Sie war so unerschrocken, so stolz, so teuflisch klug. Diese übertriebenen Berichte in der Presse würden eine verheerende Wirkung auf sie haben.
„Hatten Sie je einen wahren Freund, Mr Silver?“, fragte Deborah leise. „Hatten Sie je einen Freund, der Ihnen alles auf der Welt bedeutet hat, jemand, für den sie alles getan hätten?“
Sie hörte ihn scharf einatmen.
„Und?“, hakte sie nach, sicher, dass er keine Ahnung von der Tiefe ihrer Zuneigung und Sorge haben konnte. Er sagte nichts, saß wie versteinert da.
„Lesen Sie das hier.“ Jack deutete mit einem Finger auf die Mitte des Zeitungsartikels, eindeutig mit der Absicht, sie abzulenken.
Sie hatte nicht vor, sich ablenken zu lassen, aber die gedruckten Worte erregten ihre Aufmerksamkeit. „Chicagos führender Industrieller und Bergbaubaron Arthur Sinclair stellt Nachforschungen zum Verbleib seiner einzigen Tochter Miss Deborah Beaton Sinclair an, die in Kürze Miss Boylans Anstalt für höhere Töchter verlassen sollte, um Mr Philip Ascot IV. zu heiraten. Mr Sinclair bietet eine hübsche Summe als Belohnung für sachdienliche Hinweise zu Verbleib und Aufenthaltsort seiner Tochter an …“
Deborah presste die Hände aneinander. Die Tatsache, dass ihr Vater die Anzeige geschaltet hatte, hieß, dass er das Feuer überlebt hatte. Oh Vater, dachte sie. Du hast überlebt. Dem Himmel sei Dank, du hast überlebt.
„Miss Sinclair wurde zuletzt in der Gasse hinter dem Anwesen der Sinclairs gesehen. In den frühen Morgenstunden traf Mr Ascot Miss Sinclair in der Nähe von Lincoln Park an. Sie wurde von einem Fremden aufs Äußerste belästigt, der Mr Ascot gegenüber handgreiflich wurde, der den Angreifer als ‚Hünen‘ beschrieb, ‚mehr als sechseinhalb Fuß groß, mit wilden Augen, langem unordentlichem Haar und ohne Koteletten‘. Mr Ascot berichtet, der Wilde könne durchaus indianischer Abstammung sein …“
„Das ist mein Lieblingsteil“, warf Silver ein.
„Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen“, erkundigte sie sich und faltete die Zeitung wieder zusammen, „dass Sie hiermit gegen das Gesetz verstoßen?“
„Ich bin nach Chicago gegangen, um einen Mord zu begehen.“ Er schaute sie aus schmalen Augen an. „Sie haben mich vor mir selbst gerettet, Prinzessin.“
„Euer Gezanke langweilt mich allmählich“, rief Lightning Jack und seufzte leidgeprüft. „Ich gehe jetzt raus und rauche.“
Deborah und Tom ließen ihn beide links liegen.
„Sie sind ein Gesetzloser. Ein gesuchter Verbrecher. Ich kann Ihnen helfen“, bot sie ihm an und beugte sich zu ihm vor, „aber nur, wenn Sie mich gehen
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