Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
Kurz blickte sie zurück, folgte mit den Augen dem Verlauf des Geländers. Durch das Glas im Oberlicht über der Eingangstür flackerte ein unheimliches Leuchten über den Himmel. Das Feuer. Sie hoffte, die Feuerwehr würde es bald eindämmen können.
Aber sie vergaß das Feuer auf der anderen Seite des Flusses und alles, was damit zusammenhing, während sie über den Korridor zum Arbeitszimmer ihres Vaters ging. Ein kalter Schauer durchlief sie, der eine Warnung in sich trug: Man widersetzte sich nicht den Wünschen von Arthur Sinclair.
2. KAPITEL
T om Silver traf in Chicago mit Mord im Sinn ein. Von windgepeitschten Wellen gehoben, schwankte das Deck des kleinen Kutters unter seinen Füßen. Er wusste, es würde nicht leicht werden, das Ufer in dem winzigen Beiboot zu erreichen, aber das war ihm gleichgültig. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen.
Doch als er die Stadt in Flammen stehen sah, verharrte er und hörte auf, sich die Ersatzpatronen in die Schlaufen an seinem Gürtel zu stecken. Fasziniert starrte er auf die orangefarbene Feuerkuppel über der Stadt. Der unnatürliche Bogen aus Licht und Flammen wirkte so unheimlich, dass er einen Augenblick lang alles vergaß, auch die eiskalte Wut, die ihn hierher getrieben hatte.
„Hey, Lightning“, rief er und stampfte mit dem Fuß auf das Deck, um seinen Gefährten zu sich zu rufen, der im Maschinenraum war. „Komm und schau dir das hier an.“
Der Kutter Suzette hielt weiter tuckernd Kurs auf sein Ziel am Government Pier. Dessen Spitze markierte ein Leuchtturm, aber es fiel Tom schwer, sich auf das Kurshalten zu konzentrieren. Beim Anblick der brennenden Stadt krampfte sich sein Magen zusammen, und sein Herz klopfte wild in seiner Brust. Er konnte nicht über die Tragödien nachdenken, die sich heute Nacht zutragen würden, herbeigeführt durch den raschen und gleichgültig brutalen Schlag des Schicksals. So war Feuer – zufällig und gnadenlos.
Und verdammt unpassend, wenn er an den Grund seiner Fahrt heute dachte. Er war Hunderte Meilen weit hergekommen, aus den menschenleeren Weiten der Gegend des Lake Superior, um Arthur Sinclair zu stellen. Er würde sich nicht von einem Feuer aufhalten lassen.
Der Geruch nach Dampf und heißem Öl drang durch die Klappe im Deck, und das Dröhnen der Maschinen wurde lauter, als sie geöffnet wurde. „Was, zur Hölle, geht hier vor?“, fragte Lightning Jack und stieg durch die schmale Öffnung. Er beschattete seine Augen mit einer Hand und spähte zur Stadt. „ Parbleu , das ist aber ein gewaltiges Feuer.“
„Ich nehme an, ich werde es mir heute Abend genauer ansehen können“, sagte Tom und machte sich an den Abstieg in den Maschinenraum.
Er zog an einem Hebel und drosselte den Kessel, dann kehrte er wieder an Deck zurück, um Lightning Jack dabei zu helfen, in dem tiefen Wasser Anker zu werfen. Obwohl es spät war, musste er seine Augen gegen den gleißenden Schein der Feuerbrunst schützen. Menschen hatten sich auf dem schmalen fingerförmigen Pier versammelt. Boote fuhren zwischen der Flussmündung und dem langen Dock hin und her. An manchen Stellen brannte das Feuer so nah am Ufer, dass die Menschen mit ihren Karren ins Wasser auswichen, um den lodernden Flammen zu entkommen. Aber alle hatten ihre Rücken dem See zugewandt; wie Tom auch hielt das Schauspiel der Stadt in Flammen sie alle in Atem.
Der skelettartige Turm des Great Central – Getreidehebers, umgeben von Rauchsäulen, warf einen langen schwarzen Schatten auf das aufgewühlte Wasser. Das Feuer fraß sich, getrieben vom Präriewind, tosend durch die Stadt, heiß und kraftvoll verschlang es die dicht stehenden Gebäude.
Tom hatte in seinem Leben schon viele Brände erlebt, aber nie einen wie diesen. Niemals einen, bei dem der Wind die Flammen auf seinen Armen zu tragen schien. Niemals einen Brand, der sich mit derart wütender Geschwindigkeit ausbreitete. Flammen bedeckten die Häuser und Geschäfte wie eine Decke, ein Gebäude nach dem anderen, einen Block nach dem nächsten. Er konnte den tödlichen dunkelroten Schimmer über der West Division sehen, der das Wasser des Flusses stellenweise in rotes Licht tauchte.
Tom Silver kannte Chicago nicht sonderlich gut, denn er hatte hier nicht viel Zeit verbracht, aber es war die größte Stadt, in der er je gewesen war. Sie wurde geformt durch das Seeufer und die Flussarme, auf denen stets reger Schiffsverkehr herrschte. Zehn Bahnlinien trafen in Chicago aufeinander, sechzehn Brücken
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