Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
gehen.
„Ich begreife einfach nicht, worauf Sie mit dieser Konversation hinauswollen“, erklärte sie.
„Konversation“, äffte er sie nach. „Wir sind nicht in Chicago, Prinzessin. Es gibt kein Theater, keine Restaurants und keinen Ballsaal auf Isle Royale.“
„Was, um Himmels willen, tun Sie dann hier zu Ihrer Unterhaltung?“
„Wir reden. Miteinander.“
„Verstehe. Und das soll mich nicht unterhalten?“
„Es ist schließlich keine Nacht in der Oper, sondern …“ Er brach ab und starrte sie an. Sie war so weiß wie ein Laken geworden. „Sind Sie krank?“, fragte er.
Sie sagte nichts. Selbst quer durch den Raum konnte er auf ihrer Oberlippe und ihrer Stirn einen feinen Schweißfilm sehen. Sie wankte ein wenig. Er trat zu ihr und nahm ihren Ellbogen, um sie zu stützen, weil sie den Eindruck machte, als ob sie gleich stürzen würde.
Sobald er sie berührte, zuckte sie heftig zurück. Ihr Rocksaum wirbelte und geriet gefährlich nah an die Flammen.
Tom wich einen Schritt zurück, hielt die Hände hoch, die Handflächen ihr zugewandt. Er machte sich wieder bewusst, dass sie eine schwache, zarte Dame war. „Jetzt regen Sie sich nicht so auf. Sie waren nur auf einmal ganz bleich.“
Sie blinzelte, blickte ihn verwirrt wie jemand an, der jäh aus einem Traum geholt worden war. „Verzeihung?“, fragte sie vage.
Tom machte einen weiteren Schritt nach hinten. Er hatte noch nie erlebt, dass jemand so rasch an Hüttenkoller erkrankte. Oder vielleicht war das auch nur ein weiteres Symptom für ihren Kampf gegen die Müdigkeit. „Ich dachte, Ihnen würde gleich schlecht werden.“
„Ich bin … nein, es geht mir gut.“ Sie tastete sich rückwärts zur Bank und ließ sich darauf nieder.
Er ging in die Küche und holte einen Krug Apfelmost, frisch gepresst von den Kreidbergs, weiter inselaufwärts bei Rock Harbor. Er goss etwas davon in ein Glas und brachte es ihr. „Sie sollten besser einen Schluck trinken.“
Sie zögerte, dann griff sie nach dem Glas und nippte an dem Saft. „Es schmeckt köstlich. Das wollte ich Ihnen schon beim Abendessen sagen. Mr Silver?“
„Ja?“
„Was denken die Leute hier in der Siedlung über mich, weil ich mit Ihnen unter einem Dach wohne?“
Er schüttelte den Kopf. Sie begriff es einfach nicht. Arthur Sinclairs Tochter war eine Aussätzige hier – das war es, worüber sie sich Sorgen machen sollte. Aber er wollte dieses Thema nicht schon wieder anschneiden, daher sagte er: „Die Leute hier sind erdverbunden und praktisch veranlagt. Jemand braucht ein Bett für die Nacht, und die Leute geben nicht viel darauf, wo dieses Bett steht.“
Vorhin hatte sie in ihrem Essen herumgestochert und nur wenig zu sich genommen, nicht mehr als an Bord des Schiffes. Tom wollte es sich nicht eingestehen, aber er fing an, sich ihretwegen Sorgen zu machen. Was, wenn Sinclair seine Tochter holen kam, nur um zu entdecken, dass sie krank oder schlimmer noch – verrückt geworden war?
Deborah stand am Fenster und schaute hinaus. Es war früher Morgen, und der Ort begann gerade, zum Leben zu erwachen. Ein Kind trat auf unsicheren Beinen auf die Türschwelle des Hauses gegenüber. Eine Frau in Nachthemd und Schal kam, hob es hoch und brachte es wieder nach drinnen. Am Ende der Straße trug ein Mädchen einen Eimer Milch ins Haus. Der Mann mit dem langen weißen Haar ging die behelfsmäßige Straße entlang, und sein Atem war in der kalten Luft sichtbar.
Sie hatte sich heute Morgen ohne Hilfe eines Spiegels angezogen, ihr Gesicht mit dem eiskalten Wasser auf dem Waschtisch gewaschen und ihr Haar im Dunkeln gekämmt. Sie verließ ihr Zimmer und fand im Wohnraum ein fröhlich flackerndes Feuer im Kamin vor – und Tom Silver, der gerade das Frühstück bereitete. Heute, nach ihrer ersten Nacht im Haus hinter dem Laden sah er irgendwie … anders aus. Gestern Abend hatte er sehr lange gebadet. Sie hatte im Bett gelegen und gelauscht, wie er den großen Zinkzuber im angrenzenden Zimmer füllte, und versucht, ihn sich nicht vorzustellen. Aber das hatte sie trotzdem getan, und vor ihrem geistigen Auge hatte sein großer Körper überhaupt nicht den glatten nackten Marmorstatuen geglichen, die sie letzten Sommer in Florenz gesehen hatte.
Jetzt betrachtete sie ihn. Sein Haar, immer noch zu lang, schimmerte blau-schwarz, und der Zopf mit der Adlerfeder lugte immer wieder aus den dunklen Locken hervor. Er trug eine Hose aus grobem Stoff, Stiefel und ein frisches Hemd. Während er
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