Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn

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der Zeiten gehorchen?< Ich meine natürlich nicht, daß sie diese Frage bewußt formulierten. Das Gesetz war ihnen genauso wenig bewußt wie den Luftpionieren die Gesetze der Aerodynamik. Aber deshalb setzten sie sich trotzdem damit auseinander: Sie errichteten eine Zivilisation nach der anderen und gaben sie wieder auf, bis sie eine finden würden, die fliegen konnte. Eine zeitraubende Methode. Vielleicht hätten sie weitere zehn- oder fünfzigtausend Jahre herumexperimentiert. Aber sie wußten offensichtlich, daß kein Grund zur Eile bestand. Sie brauchten nicht sofort abzuheben. Sie sahen nicht ein, warum sie sich einer Zivilisation anvertrauen sollten, die ganz klar auf den Untergang zusteuerte, so wie die Zivilisation der Nehmer das tat.«
    Ismael verstummte, und als er nicht fortfuhr, sagte ich: »Und was jetzt?«
    Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Jetzt gehst du nach Hause und kommst erst wieder, wenn du mir sagen kannst, welches Gesetz oder welche Gesetze von Anfang an das Leben auf der Erde bestimmten.«
    »Ich weiß nicht, ob ich dazu schon in der Lage bin.«
    »Ich bereite dich seit einer halben Woche darauf vor.«
    »Aber ich wüßte nicht, wo ich beginnen sollte.«
    »Du weißt es. Du hast dieselben drei Anhaltspunkte wie bei den A, B und C. Das Gesetz, nach dem du suchst, wird seit drei Milliarden Jahren von allen Lebewesen da draußen befolgt.« Ismael deutete zum Fenster. »Und deshalb ist die Welt heute so und nicht anders. Wenn nicht dieses Gesetz von Anfang an und von Generation zu Generation befolgt worden wäre, wären die Meere tote Wüsten und das Land Staub, den der Wind vor sich hertreibt. Das ganze vielfältige Leben der Erde verdankt sich diesem Gesetz, und auch der Mensch verdankt ihm seine Existenz. Und nur ein einziges Mal in der Geschichte des Planeten hat eine Art das Gesetz herausgefordert - und nicht einmal eine ganze Art, sondern nur ein Volk, die Menschen nämlich, die ich Nehmer genannt habe. Vor zehntausend Jahren sagte dieses Volk: >Wir haben genug. Es ist nicht die Bestimmung des Menschen, sich diesem Gesetz zu unterwerfen<, und sie begannen so zu leben, daß sie in jeder Hinsicht gegen das Gesetz verstießen. Was immer durch dieses Gesetz verboten wird, erhoben sie in ihrer Zivilisation zur Handlungsmaxime. Und jetzt nach fünfhundert Generationen müssen sie die Strafe zahlen, die auch jede andere Art für ähnliche Verstöße zahlen müßte.«
    Ismael machte eine abschließende Handbewegung. »Mehr Anhaltspunkte brauchst du nicht.«
    4
    Die Tür schloß sich hinter mir, und da stand ich nun. Zurück konnte ich nicht, nach Hause wollte ich nicht, also blieb ich einfach stehen. Mein Kopf war leer, und ich war deprimiert. Ich brachte es sogar fertig, mich ganz ungeliebt zu fühlen.
    Zu Hause erwarteten mich jede Menge Probleme. Ich war mit der Arbeit im Rückstand und konnte Termine nicht einhalten. Und jetzt hatte ich zusätzlich noch eine Aufgabe von Ismael, die mich überhaupt nicht begeisterte. Aber es war an der Zeit, einmal ernsthaft nachzudenken, deshalb tat ich etwas, was ich selten tue: Ich ging in die nächste Kneipe und kippte einen.
    Also: Warum fühlte ich mich auf so unerklärliche Weise niedergeschlagen und ungeliebt? Und warum gerade heute? Die Antwort: Ismael hatte mich nach Hause geschickt, damit ich selbst über die Lösung nachdachte; er hätte mir die geistige Anstrengung ersparen können, die das bedeutete, aber er hatte es nicht getan. Also eine Art Zurückweisung. Kindisch, so was zu sagen, natürlich, aber ich bin auch nicht vollkommen.
    Doch das Problem saß tiefer, denn ich war noch immer deprimiert. Ein zweiter Bourbon brachte die Antwort: Ich machte Fortschritte. Jawohl. Deshalb war ich deprimiert.
    Ismael hatte einen Lehrplan. Na ja, natürlich, warum auch nicht. Er hatte ihn im Verlauf einiger Jahre in der Arbeit mit seinen Schülern entwickelt. Verständlich. So etwas braucht man. Man fängt hier an, macht dann das, dann das, dann das und dann das, und dann, voilà!, ist man eines Tages fertig. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, alles Gute, und machen Sie beim Rausgehen bitte die Tür zu.
    Wie weit war ich jetzt? Hatte ich die Hälfte des Weges zurückgelegt? Ein Drittel? Ein Viertel? Auf jeden Fall entfernte mich jeder Fortschritt, den ich machte, weiter von Ismael.
    Welches böse Wort beschreibt meine Reaktion am treffendsten? Selbstsucht? Eigenliebe? Überzogener Egoismus? Was auch immer, ich bekenne mich ohne Ausflüchte dazu.
    Ich