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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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es reicht ihnen vollkommen, wenn sie einem anderen Tier die Beute wegnehmen können.«
    »Aha.«
    »Du hast also genug von den Löwen. Was tust du?«
    »Ich bringe sie um.«
    »Und die Folge davon?«
    »Na ja ... kein Ärger mehr.«
    »Von was lebten die Löwen?«
    »Von Gazellen, Zebras, von wilden Tieren eben.«
    »Jetzt gibt es keine Löwen mehr. Was bedeutet das für euch?«
    »Ach jetzt verstehe ich, worauf du hinauswillst. Wir haben mehr zu fressen.«
    »Und wenn ihr mehr zu fressen habt?«
    Ich sah ihn verständnislos an.
    »Na gut. Ich dachte, das Abc der Ökologie sei dir bekannt. Wenn in der Natur das Nahrungsangebot einer Population steigt, wächst die Population. Wenn sie wächst, wird die Nahrung wieder weniger, und wenn sie weniger wird, schrumpft die Population. Diese Wechselwirkung zwischen Räuber- und Beutepopulation hält alles im Gleichgewicht.«
    »Das wußte ich schon. Ich habe im Moment nur nicht daran gedacht.«
    Ismael runzelte verwirrt die Stirn.
    Ich lachte. »Also gut. Wenn die Löwen weg sind, haben wir Hyänen mehr zu fressen, und unsere Population wächst. Sie wächst, bis die Nahrung wieder knapp wird, dann schrumpft sie wieder.«
    »Unter normalen Umständen, ja. Aber ihr habt die Umstände verändert. Ihr habt beschlossen, daß das Gesetz, das den Wettbewerb regelt, nicht für Hyänen gelten soll.«
    »Richtig. Wir töten unsere Rivalen.«
    »Laß dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen. Entwickle den Gedanken selbst.«
    »Gut. Laß sehen. Wenn wir die Rivalen getötet haben, die uns das Essen wegfressen ... dann wächst unsere Population, bis die Tiere, die wir jagen, knapp werden. Da wir keine Rivalen mehr haben, die wir töten könnten, müssen wir dafür sorgen, daß diese Tiere sich vermehren ... Hyänen als Viehzüchter, wirklich ein komischer Gedanke.«
    »Ihr habt die direkten Rivalen umgebracht, die euch die Beute streitig machten, aber die Tiere, die ihr freßt, haben ihrerseits Rivalen, die ihnen das Gras streitig machen. Das sind eure Rivalen ersten Grades. Tötet sie, und eure Tiere haben mehr Gras.«
    »Stimmt. Mehr Gras für die Beutetiere bedeutet mehr Beutetiere, mehr Beutetiere bedeuten mehr Hyänen, mehr Hyänen ... Wen können wir noch töten?«
    Ismael zog nur die Augenbrauen hoch und sah mich fragend an.
    »Wir können niemanden mehr töten.«
    »Überlege.«
    Ich überlegte. »Gut. Wir haben unsere direkten Rivalen und unsere Rivalen ersten Grades getötet. Jetzt könnten wir unsere Rivalen zweiten Grades vernichten - die Pflanzen, die mit dem Gras um Platz und Sonnenlicht konkurrieren.«
    »Richtig. Dann gibt es mehr Gras für die Tiere und mehr Tiere für euch.«
    »Lustig ... Für die Bauern ist das ja schon fast eine Kulthandlung. Vernichte, was du nicht essen kannst. Vernichte, was dir dein Essen wegnimmt. Vernichte, was nicht dazu beiträgt, daß du zu essen hast.«
    »Es ist wirklich eine Kulthandlung, zumindest in der Nehmer- Kultur. Je mehr Rivalen du tötest, desto mehr Menschen kannst du in die Welt setzen, das ist euer heiligstes Credo. Für den, der sich außerhalb des Gesetzes stellt, das den Wettbewerb regelt, ist alles außer seiner Nahrung und der Nahrung seiner Nahrung ein Feind, der ausgerottet werden muß.«
    4
    »Du siehst also: Wenn eine Art sich außerhalb des Gesetzes stellt, hat das letztlich dieselbe Wirkung, wie wenn alle Arten sich außerhalb des Gesetzes stellten. In beiden Fällen wird die Vielfalt des Lebens nach und nach zerstört, und eine einzige Art breitet sich aus.«
    »Und man kommt notwendigerweise dahin, wo die Nehmer heute sind - man muß ständig neue Rivalen ausschalten, immer mehr Nahrung anbauen und immer wieder neu überlegen, wie man mit der Bevölkerungsexplosion fertig wird. Wie hast du es vor ein paar Tagen ausgedrückt? Etwas mit Intensivierung der Produktion, um eine größere Bevölkerung zu ernähren.«
    »>Die Intensivierung der Produktion mit dem Ziel, eine größere Bevölkerung zu ernähren, führt zu einem noch stärkeren Wachstum der Bevölkerung.< Das sagt Peter Farb in seinem Buch Humankind.«
    »Und du behauptest, dies sei ein Paradox?«
    »Peter Farb behauptet das.«
    »Warum?«
    Ismael zuckte die Schultern. »Er weiß sicher auch, daß in der Natur jede Art unweigerlich in dem Maß wächst, wie ihre Nahrungsgrundlage wächst. Aber du weißt ja, Mutter Kultur lehrt, daß solche Gesetze nicht für den Menschen gelten.«
    »Das stimmt.«
    5
    »Ich habe eine Frage«, sagte ich. »Ich habe im

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