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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Nahrung zur Verfügung steht. Das gilt für alle Arten. Die Nehmer beweisen das seit zehntausend Jahren. Seit zehntausend Jahren erhöhen sie die Nahrungsmittelproduktion immer wieder, um eine gewachsene Bevölkerung zu ernähren, und jedes Mal wächst die Bevölkerung noch mehr.«
    Ich dachte kurz nach. Dann sagte ich: »Mutter Kultur ist hier anderer Meinung.«
    »Natürlich. Sie protestiert sicher sogar ganz heftig. Was sagt sie?«
    »Sie sagt, wir seien in der Lage, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, ohne daß die Bevölkerung wächst.«
    »Zu welchem Zweck? Warum dann mehr Nahrungsmittel produzieren?«
    »Um die Millionen zu ernähren, die verhungern.«
    »Und nimmst du ihnen gleichzeitig das Versprechen ab, daß sie keine Kinder bekommen werden?«
    »Hm ... nein, das ist nicht vorgesehen.«
    »Was passiert also, wenn du die verhungernden Millionen ernährst?«
    »Sie bekommen Kinder, und die Bevölkerung wächst.«
    »Mit Sicherheit. Dieses Experiment führt deine Kultur seit zehntausend Jahren jedes Jahr neu durch, mit in jeder Hinsicht vorhersehbaren Folgen. Wenn man mehr Nahrungsmittel produziert, um mehr Menschen zu ernähren, führt das zu weiterem Bevölkerungswachstum. Diese Folge ist zwingend, und wer etwas anderes sagt, gibt sich biologischen und mathematischen Phantasien hin.«
    »Trotzdem ...« Ich überlegte. »Mutter Kultur sagt, das Problem könne durch Geburtenkontrolle gelöst werden.«
    »Natürlich. Wenn du je so dumm bist und dich auf eine Diskussion über das Bevölkerungswachstum einläßt, wirst du feststellen, daß immer dann die Erleichterung groß ist, wenn jemand die Geburtenkontrolle ins Gespräch bringt. >Gott sei Dank! Gerade noch aus dem Schneider!< Wie der Alkoholiker, der schwört, er werde den Alkohol aufgeben, bevor er sein Leben ruiniert. Die globale Geburtenkontrolle gehört zu jenen Dingen, die immer in der Zukunft stattfinden. Das war schon 1960 so, als ihr noch drei Milliarden wart. Jetzt seid ihr fünf Milliarden, und die Geburtenkontrolle steht immer noch aus.«
    »Stimmt. Aber theoretisch wäre sie möglich.«
    »Theoretisch ja - aber nicht, solange ihr die Geschichte der Nehmer aufführt. Solange ihr das macht, werdet ihr auf den Hunger immer mit einer Erhöhung der Nahrungsproduktion reagieren. Du hast sicher schon Anzeigen von Organisationen gesehen, die den hungernden Völkern der Welt Nahrungsmittel schicken?«
    »Ja.«
    »Hast du je gelesen, daß sie statt dessen Verhütungsmittel schicken würden?«
    »Nein.«
    »Siehst du. Mutter Kultur redet mit gespaltener Zunge. Spricht jemand von Bevölkerungsexplosion, antwortet sie mit globaler Geburtenkontrolle, spricht jemand von Hungersnot, antwortet sie mit verstärkter Nahrungsproduktion. Nur leider wird die Nahrungsproduktion jedes Jahr erhöht, während die Geburtenkontrolle überhaupt nicht stattfindet.«
    »Stimmt.«
    »Eure Kultur legt gar keinen Wert auf eine globale Geburtenkontrolle, und das wird so bleiben, solange ihr eine Geschichte aufführt, der zufolge die Götter die Welt erschaffen haben, damit der Mensch nach Belieben mit ihr verfahren kann. Solange ihr diese Geschichte aufführt, wird Mutter Kultur heute die Erhöhung der Nahrungsproduktion fordern - und für morgen die Geburtenkontrolle versprechen.«
    »Gut, das sehe ich ein. Aber ich habe eine Frage.«
    »Bitte.«
    »Ich weiß, was Mutter Kultur zum Hunger sagt. Was sagst du dazu?«
    »Ich? Nichts, außer daß die biologischen Gesetze, denen alle Arten unterworfen sind, auch für deine Art gelten.«
    »Was hat das mit dem Hunger zu tun?«
    »Hunger gibt es nicht nur bei den Menschen, es gibt ihn bei allen Arten auf der Welt. Wenn die Population einer Art die vorhandenen Nahrungsmittelressourcen übersteigt, schrumpft sie, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Mutter Kultur behauptet, die Menschen seien diesem Regulativ nicht unterworfen. Wenn eine Bevölkerung also nicht mehr von ihren Ressourcen leben kann, werden Nahrungsmittel importiert, wodurch sichergestellt wird, daß in der nächsten Generation noch mehr verhungern. Die Bevölkerung kann also nie bis zu dem Punkt schrumpfen, an dem sie sich aus eigenen Mitteln ernähren kann, und deshalb wird der Hunger chronisch.«
    »Ja. Vor einigen Jahren habe ich in der Zeitung einen Bericht über einen Ökologen gelesen, der auf einer Konferenz genau dies sagte. Junge, wurde der vielleicht angeschossen. Er wurde regelrecht als Mörder hingestellt.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Zwar wissen

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