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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Revolution ... Ich würde sagen, eine Revolution der Technik.«
    »Und tiefere kulturelle und religiöse Aspekte wurden dabei nicht berührt?«
    »Nein. Die ersten Bauern waren nichts anderes als die Technokraten der Steinzeit. Das haben wir zumindest immer geglaubt.«
    »Aber nachdem wir uns das dritte und vierte Kapitel der Genesis angesehen haben, weißt du, daß die Revolution viel mehr war, als Mutter Kultur lehrt.«
    »Ja.«
    »Mehr war und natürlich immer noch ist, da die Revolution ja andauert. Adam ißt immer noch die Frucht des verbotenen Baumes, und wo Abel noch lebt, lebt auch Kain, der mit dem Messer in der Hand Jagd auf ihn macht.« »Stimmt.«
    »Noch etwas weist darauf hin, daß die Revolution sich nicht auf die Technik beschränkte. Mutter Kultur lehrt, daß das Leben des Menschen vor der Revolution keinen Sinn hatte, daß es dumpf, leer und wertlos war. Das Leben vor der Revolution war elend und abscheulich.«
    »Ja.«
    »Das glaubst du selber auch, oder?«
    »Eigentlich ja.«
    »Wahrscheinlich glauben es die meisten von euch?«
    »Ja.«
    »Gibt es Ausnahmen?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht ... die Anthropologen.«
    »Also Leute, die sich mit dem Leben vor der Revolution beschäftigt haben.«
    »Ja.«
    »Aber Mutter Kultur lehrt, daß es ein erbärmliches Leben war.«
    »Stimmt.«
    »Kannst du dir vorstellen, daß du dein Leben unter bestimmten Umständen gegen dieses Leben eintauschen würdest?«
    »Nein. Ich kann mir offen gesagt niemanden vorstellen, der so leben wollte, wenn er die Wahl hätte.«
    »Die Lasser schon. Die Nehmer haben sie nie anders als durch rohe Gewalt davon abbringen können. Meistens war es für die Nehmer am einfachsten, die Lasser einfach auszurotten.«
    »Stimmt. Aber dazu hat Mutter Kultur etwas zu sagen. Sie sagt, die Lasser hätten schlicht nicht gewußt, was ihnen entgeht. Sie hätten die Vorteile des bäuerlichen Lebens nicht gekannt, deshalb hätten sie so hartnäckig an dem Leben als Jäger und Sammler festgehalten.«
    Ismael lächelte sein listigstes Lächeln. »Welche Indianer leisteten deiner Meinung nach den Nehmern dieses Landes am heftigsten und erbittertsten Widerstand?« »Hm ... Ich würde sagen, die Plains-Indianer.«
    »Die meisten von euch würden dir zustimmen. Aber als die Spanier das Pferd noch nicht nach Amerika gebracht hatten, waren die Plains-Indianer jahrhundertelang Ackerbauern. Sobald das Pferd sich bei ihnen ausbreitete, gaben sie die Landwirtschaft auf und kehrten zu einem Leben als Jäger und Sammler zurück.«
    »Das wußte ich nicht.«
    »Jetzt weißt du es. Kannten die Plains-Indianer die Segnungen des bäuerlichen Lebens?«
    »Das müssen sie wohl.«
    »Was sagt Mutter Kultur?«
    Ich dachte eine Weile nach, dann lachte ich. »Sie sagt, die Indianer hätten die Vorteile dieses Lebens nicht richtig zu würdigen gewußt. Sonst wären sie nicht wieder Jäger und Sammler geworden.«
    »Weil das ein abscheuliches Leben ist.«
    »Ja.«
    »Du siehst jetzt allmählich, wie gründlich Mutter Kultur euch in dieser Frage indoktriniert hat.«
    »Ja. Ich verstehe allerdings noch nicht, worauf du hinauswillst.«
    »Wir wollen herausfinden, warum ihr das Leben der Lasser so verachtet und fürchtet. Wir wollen herausfinden, warum ihr das Gefühl habt, ihr müßtet die Revolution fortsetzen, auch wenn sie euch und die ganze Welt vernichtet. Wir wollen herausfinden, gegen was sich eure Revolution richtet.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Und wenn wir das alles wissen, kannst du mir sicher die Geschichte erzählen, die die Lasser seit drei Millionen Jahren, also seit es den Menschen gibt, auf der Erde aufführen und die heute noch dort aufgeführt wird, wo Lasser überlebt haben.«
    4
    Ein Schauder durchfuhr Ismael, als er von Überleben sprach, und er sank mit einem langgezogenen Seufzer auf seine Decken zurück. Eine Weile schien ihn der unermüdlich auf die Leinwand über uns trommelnde Regen einzuschläfern, dann räusperte er sich und fuhr fort.
    »Versuchen wir es so«, sagte er. »Warum war die Revolution notwendig?«
    »Sie war notwendig, weil der Mensch es zu etwas bringen wollte.«
    »Du meinst, weil er Zentralheizung, Universitäten, Opernhäuser und Raumschiffe haben wollte.«
    »Richtig.«
    Ismael nickte. »Am Anfang unseres Gespräches hätte ich eine solche Antwort akzeptiert, aber jetzt will ich, daß du tiefer eindringst.«
    »Gut. Was meinst du mit tiefer?«
    »Du weißt doch selbst, daß für viele hundert Millionen Menschen Zentralheizung,

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