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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Niemand sagte: >Also gut, laßt uns ein Komitee bilden, das Gesetze für uns aufschreibt. - Diese Kulturen waren keine Erfindungen. Im Gegensatz zu dem, was unsere Gesetzgeber uns gegeben haben - Erfindungen.
    Künstlich ausgedachte Sachen. Nicht Dinge, die im Lauf tausender Generationen ihren Wert erwiesen haben, sondern willkürliche Festlegungen des einzig richtigen Lebens. Und das ist heute noch so. In Washington werden Gesetze nicht verabschiedet, weil sie gut sind, sondern weil sie dem einzig richtigen Leben entsprechen. Eine Frau darf nicht abtreiben, außer, wenn sie vergewaltigt wurde oder der Fötus ihr Leben bedroht. Viele Leute würden mit dieser Lesart des Gesetzes vollkommen übereinstimmen. Warum? Weil es nur so richtig ist. Du kannst dich zu Tode trinken, aber wenn wir dich erwischen, Junge, wie du Marihuana rauchst, wanderst du in den Knast, denn so ist es richtig. Keiner schert sich einen Dreck darum, ob unsere Gesetze gut sind. Das tut nichts zur Sache ... Jetzt habe ich wieder vergessen, worauf ich hinauswill.«
    Ismael grunzte. »Du willst nicht unbedingt auf etwas Bestimmtes hinaus. Du denkst über einen ganzen Komplex tiefer Gedanken nach, und du darfst nicht erwarten, daß du in zwanzig Minuten damit durch bist.«
    »Du hast recht.«
    »Bevor wir zu anderen Dingen übergehen, würde ich allerdings gern noch einen Gedanken zu Ende führen.«
    »Bitte.«
    »Du weißt jetzt, daß Nehmer und Lasser zwei ganz verschiedene Arten von Wissen sammeln.« »Ja. Die Nehmer sammeln Wissen darüber, was für die Herstellung von Dingen gut ist, die Lasser darüber, was für Menschen gut ist.«
    »Aber nicht für alle Menschen. Jedes Volk der Lasser hat eine Kultur entwickelt, die für dieses Volk gut ist, weil sie von ihm entwickelt wurde. Sie paßt zur Landschaft, in der das Volk lebt, zum Klima, zu Hora und Fauna, zu den Vorlieben und zur Weltanschauung der jeweiligen Menschen.«
    »Ja.«
    »Und ein solches Wissen nennt man wie?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Jemand, der weiß, was für Menschen gut ist, hat was?«
    »Hm ... Weisheit?«
    »Natürlich. Du weißt jetzt, daß die Menschen deiner Kultur wissen wollen, was für die Herstellung von Dingen gut ist. Die Lasser dagegen wollen wissen, was für Menschen gut ist. Und jedesmal, wenn die Nehmer eine Kultur der Lasser vernichten, verschwindet damit unwiderruflich eine seit Beginn der Menschheit geprüfte Weisheit aus der Welt, so wie eine seit Beginn des Lebens geprüfte Lebensform für immer aus der Welt verschwindet, wenn die Nehmer eine Art ausrotten.«
    »Übel«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Ismael. »Das ist übel.«
    9
    Ismael kratzte sich ausgiebig am Kopf, dann schickte er mich für diesen Abend weg.
    »Ich bin müde«, erklärte er, »und mir ist zu kalt zum Denken.«

Elf
    1
    Der Nieselregen wollte nicht aufhören, und als ich am nächsten Tag eintraf, war niemand da, den ich bestechen mußte. Ich hatte in einem Armeeladen zwei Decken für Ismael geholt - und eine für mich selbst, damit er sich nicht wie ein Almosenempfänger vorkam. Er bedankte sich barsch, schien aber froh. In trübe Gedanken versunken saßen wir eine Weile da, dann begann er widerwillig.
    »Kurz vor meinem Auszug hast du mich gefragt - ich weiß nicht mehr, aus welchem Anlaß -, wann wir zu der Geschichte kämen, die die Lasser aufführen.«
    »Stimmt, ich erinnere mich.«
    »Warum willst du die Geschichte wissen?«
    Die Frage verblüffte mich.
    »Warum sollte ich sie nicht wissen wollen?« wunderte ich mich.
    »Ich frage, was du damit willst. Du weißt, Abel ist so gut wie tot.«
    »Hm ... ja.«
    »Warum also das Interesse für die Geschichte, die er aufgeführt hat?«
    »Noch einmal: warum nicht?«
    Ismael schüttelte den Kopf. »Auf dieser Basis möchte ich nicht weitermachen. Auch wenn ich dir nicht sagen kann, warum du sie nicht erfahren sollst, so ist das noch kein Grund, warum ich sie dir erzählen sollte.«
    Er war ganz offensichtlich schlecht gelaunt. Ich konnte ihm das nicht verdenken, aber ich hatte auch kein allzu großes Mitleid mit ihm, denn er hatte es ja so haben wollen.
    »Willst du es nur aus Neugier wissen?« fragte er.
    »Nein, das würde ich nicht sagen. Du hast am Anfang gesagt, daß zwei Geschichten aufgeführt werden. Ich kenne jetzt eine davon, und natürlich will ich auch die andere kennenlernen.«
    »Natürlich ...«, sagte er, als ob ihm das Wort mißfalle. »Ich wünschte, du hättest einen gewichtigeren Grund für dein Interesse. Dann

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