Ismael

suchen.«
    »Stimmt.«
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    »Aber Mutter Kultur hat ja nie die ganze Vergangenheit für wertlos erklärt. Was sollte aufbewahrt werden? Was wurde tatsächlich aufbewahrt?«
    »Das Wissen, wie man bestimmte Dinge herstellt oder tut, würde ich sagen.«
    »Also alles, was mit Produktion zu tun hat. Und deshalb ist die Welt heute so und nicht anders.«
    »Ja.«
    »Natürlich sammeln auch die Lasser ein solches Wissen, obwohl die Produktion als Selbstzweck bei ihnen selten ist. Sie haben keine wöchentlichen Quoten, wie viele Töpfe oder Pfeilspitzen einer herstellen muß, und sie überlegen nicht, wie man die Produktion von Faustkeilen steigern kann.«
    »Nein.«
    »Sie sammeln zwar auch ein solches Wissen, aber meist sammeln sie etwas ganz anderes. Wie würdest du dieses andere Wissen charakterisieren?«
    »Ich glaube, du hast die Antwort auf diese Frage vor ein paar Minuten selbst gegeben. Sie sammeln das, was gut für sie ist.«
    »Nur für sie? Nicht für alle?«
    »Nein. Ich bin kein großer Anthropologe, aber ich habe genug gelesen, um zu wissen, daß die Zuni oder die Navajo nicht glauben, ihr Leben tauge für alle Menschen. Beide Völker haben sich ihr Leben so eingerichtet, wie es für sie gut ist.«
    »Und dieses Leben geben sie dann an ihre Kinder weiter.«
    »Ja. Während wir unsere Kinder lehren, wie man Dinge herstellt. Wie man immer mehr und immer bessere Dinge herstellt.«
    »Warum lernen die Kinder nicht, was für Menschen gut ist?«
    »Wahrscheinlich, weil wir das gar nicht wissen. Jede Generation muß das aufs neue definieren. Meine Eltern hatten Ansichten, die für uns wenig hilfreich waren, und die Eltern meiner Eltern hatte wieder andere Ansichten, die gleichfalls wenig hilfreich waren, und wir arbeiten an unserer eigenen Version, die unseren Kindern wahrscheinlich einmal wenig helfen wird.«
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    »Aber wir sind vom Thema abgekommen«, sagte Ismael mürrisch. Er veränderte seine Sitzposition, und der Wagen quietschte. »Ich möchte, daß du verstehst, daß die Kultur bei den Lassern ein im Lauf der Zeit gewachsenes Wissen ist, das ohne Unterbrechung bis zum ersten Menschen zurückreicht. Es ist deshalb kein Wunder, daß eine solche Kultur funktioniert. Sie wurde im Verlauf tausender Generationen geprüft und verbessert.«
    »Ja. Da fällt mir etwas ein.«
    »Ich höre.«
    »Augenblick. Es hat zu tun mit... damit, daß wir nicht wissen, wie der Mensch leben soll.«
    »Laß dir Zeit.«
    Ich dachte eine Weile nach. »Gut«, sagte ich dann. »Ganz am Anfang sagte ich einmal, man könne nicht sicher wissen, wie der Mensch leben soll und ich meinte damit, man könne nicht wissen, welches Leben als einziges das richtige ist. Aber das wollen die Nehmer. Wir wollen nicht wissen, wie man auch leben kann, wir wollen wissen, welches das einzig richtige Leben ist. Und das sagen uns unsere Propheten und Gesetzgeber. Laß mich überlegen... Nach einem fünf- bis achttausendjährigen Gedächtnisschwund wußten die Nehmer nicht mehr, wie sie leben sollten. Sie müssen der Vergangenheit wirklich den Rücken zugekehrt haben, denn plötzlich kommt Hammurabi, und alle sagen: >Was ist denn das?< und Hammurabi sagt: >Das, liebe Kinder, sind Gesetze!< >Gesetze? Was sind Gesetze?< Und Hammurabi sagt: >Gesetze sagen euch, welches Leben das einzig richtige ist.< Was wollte ich jetzt sagen?«
    »Weiß ich nicht genau.«
    »Ach ja. Als du vorhin von kulturellem Gedächtnisschwund gesprochen hast, dachte ich, das sei metaphorisch gemeint. Oder du hättest vielleicht übertrieben, um etwas zu verdeutlichen. Denn man kann ja gar nicht wissen, was die neolithischen Bauern dachten. Aber trotzdem, Tatsache ist, daß sich nach ein paar tausend Jahren die Nachfahren dieser Bauern ratlos am Kopf kratzten und sagten: >Wenn wir doch nur wüßten, wie der Mensch leben soll.< Die Lasser dagegen hatten das in dieser Zeit nicht vergessen. Sie wußten es noch, nur die Menschen meiner Kultur hatten es vergessen, hatten sich von einer Tradition abgeschnitten, die ihnen sagte, wie sie leben sollten. Deshalb brauchten sie einen Hammurabi. Sie brauchten einen Drakon, einen Solon, einen Moses, einen Jesus und einen Mohammed.
    Die Lasser nicht, denn sie besaßen ein Wissen - mehrere Wissen - die ... Warte. Ich glaube, ich hab's.«
    »Laß dir Zeit.«
    »Die Lasser entwickelten ihre Kulturen ganz allmählich, in einem Prozeß des ständigen Überprüfens, der begann, noch bevor die Menschen ein Wort dafür hatten. Diese Kulturen waren nicht...