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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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schien zu träumen, aber im Unterschied zu Elfe lächelte sie nicht. Wie leblos lag sie da und der Bär schmiegte sich an sie, als ob er ihr etwas von seiner pelzigen Wärme spenden wollte. Ihre Haut war fast so weiß wie das Laken und ihre Gesichtszüge waren gleichermaßen zart und scharf, als würde man etwas zerbrechen, wenn man sie berührte – oder sich an ihr schneiden.
    Mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch wandte ich mich ab. Er sieht, dass ich sie ansehe, dachte ich. Und wenn er die Szene für den Film verwendet, sieht es auch Krys –und eine Unzahl von Menschen, die ich nicht einmal kenne. Ich musste an den Zeitungsartikel denken, den Elfe mir im Flieger gezeigt hatte, die kritischen Anmerkungen über Tempelhoffs Projekt.
    Ich hätte weglaufen können …
    Aber ich war hier, auf der Insel, ich hatte mich freiwillig für das Projekt angemeldet und weg konnte ich erst, wenn unsere Zeit auf der Insel vorbei war. Drei lange Wochen noch. Dann würde ich achtzehn sein, volljährig, erwachsen, für mich selbst verantwortlich. Und dann? Ich sah zu meinem Nachttisch, der weißen Kerze, an die ich das Foto von Esperança gelehnt hatte.
    Hastig zog ich meine Turnschuhe an und verließ den Schlafsaal.
    Das Haupthaus war still und leer. Durch die riesigen Fenster drang das Morgenlicht. Draußen war es grau, ein helles silbriges Grau. Auf dem großen runden Glastisch standen noch die Reste vom gestrigen Abendessen, benutzte Teller, Brotkrümel, Käserinden, halb volle Gläser und eine gespaltene Kokosnuss. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee, aber niemand war im Raum.
    Ich trat in den Garten. Nebelschleier lagen über dem Grundstück und der Himmel war leicht bedeckt, aber die Kraft der Sonne spürte ich trotzdem. Das Licht war überwältigend, es blendete fast – kein Vergleich zu einem grauen Morgen in Deutschland. Schon jetzt war es unglaublich warm.
    Am Stamm eines riesigen palmenartigen Baumes hing eine Staude Bananen, ich griff mir eine und schälte sie. Sie schmeckte köstlich, ganz süß und durch und durch – nach Banane.
    Beng-Tschiwi … Beng-Tschiwi …
    Eigentlich hatte ich beschlossen, noch einmal zum Strand zu gehen, aber jetzt folgte ich dem Ruf des Vogels und lief hinten ums Haus herum. Auf diesem Teil des Grundstücks wuchsen Limonen- und Orangenbäume und im Schatten einer Palme stand ein hoher schwarzer Kasten aus Metall, den ich im ersten Moment für einen Stromkasten hielt. Aber dann erkannte ich, dass es ein Briefkasten war. Isola stand in kristallblauen Buchstaben über dem schwarz lackierten Schlitz und ich runzelte die Stirn. Ein Briefkasten auf einer einsamen Insel kam mir mehr als merkwürdig vor. Ob hier die Gefangenen des ehemaligen Inselprojektes ihre Post eingeworfen hatten?
    Das Urwalddickicht grenzte ummittelbar an das Grundstück. Ich ging durch den Garten, und als mich das grüne Blätterdach verschluckte, erschien mir die Vorstellung, dass sich zwischen diesen unzähligen, von riesigem Efeu umschlungenen Urwaldbäumen Kameras oder Mikrofone befinden sollten, so absurd, dass ich lachen musste. Aus dem feuchtwarmen Waldboden krochen Nebelschwaden und die gewaltigen Baumstämme glänzten in einem hellen, satten Braun. Ihre üppigen Kronen schimmerten mir in allen nur vorstellbaren Schattierungen von Grün entgegen. Dabei war die Wildnis gar nicht so wild, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Ich hätte mich ohne Weiteres durch das Urwalddickicht schlagen können, aber ich hielt mich dennoch an den schmalen Pfad, und je weiter ich ihm ins Innere des Waldes folgte, desto leichter fühlte ich mich. Unter meinen Füßen knackte das Unterholz und in das Summen der Bienen und Insekten über meinem Kopf mischte sich immer wieder das fröhliche Beng-Tschiwi des unsichtbaren Vogels.
    Neanders massiger Rücken tauchte so plötzlich vor mir auf, dass mir fast das Herz stehen blieb. Ich hatte vielleicht hundert, höchstens zweihundert Meter zurückgelegt, aber ich fühlte mich wie am Ende der Welt. Neander kniete vor einem kleinen Baum, und als er aufgeschreckt von meinen Schritten zu mir herumfuhr, war sein verschwitztes Gesicht schmerzerfüllt. Er sah aus wie der traurige Riese in einem meiner Bilderbücher, das mir Erika früher so oft vorgelesen hatte.
    In Neanders Hand lag ein winziges Vogelküken. Es war tot. Seine Augen waren offen und es hatte den Schnabel weit aufgerissen wie zu einem stummen Schrei. An seinem unsagbar zarten Körperchen waren schon Federn gewachsen, ein weicher

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