Isola - Roman
als Darling einen spöttischen Blick auf seinen Waschbrettbauch warf, flammte die Röte wieder in seinem Gesicht auf. Darling trug jetzt ein weißes Strandkleid. Ihr blondes Haar war zurückgesteckt und der helle Kajalstrich ließ ihre Augen noch blauer blitzen, als sie ohnehin schon waren.
Tante Käthe mit der grauen Dauerwelle saß an ihrem Platz vom Abend zuvor. Auch die Banane steckte noch in ihrem Mund und ihre blassen Augen blickten würdevoll in die Runde.
Darling nahm sich ein Messer und eine Orange, die sie etwas unbeholfen mit der geschienten Hand zu schälen begann.
»Wobei hast du dich eigentlich verletzt?«, fragte Pearl.
»Beim Tennis«, sagte Darling und leckte sich einen Spritzer Saft vom Arm. »Ich hatte eine Filmrolle als Tennislehrerin, die ist mir leider nicht so gut bekommen.«
Joker warf einen Blick auf Darlings Ausschnitt und biss sich grinsend auf die Unterlippe.
»Und ihr?«, fragte Milky, nachdem er sein volles Glas in einem Zug geleert hatte. »Woher kommt ihr im wirklichen Leben? Auch vom Film?«
Schweigen in der Runde. Unsere Blicke flogen durch den Raum. Aber die Stimmung war anders als am Abend zuvor, ganz anders. Wir hatten uns entschieden, die Bühne Isola zu betreten, jeder auf seine Weise.
»Vom Mond«, sagte Moon. Sie saß mit angewinkelten Knien am Tisch. Vor sich hielt sie ihren Zeichenblock. Der Bleistift steckte hinter ihrem Ohr. Silbern setzte er sich von ihrer Glatze ab und ich fragte mich, womit sie wohl die weißen Seiten ihres Blockes füllte.
Pearl kicherte und bestrich sich eine Scheibe Weißbrot dick mit Nugatcreme. Sie trug ein leuchtend gelbes T-Shirt und ihre krausen, schulterlangen Haare hatte sie heute offen gelassen.
»Aus dem Knast«, sagte Joker und kratzte sich an seinem Ziegenbart. Er zog Tante Käthe die Banane aus dem Mund, schälte sie und steckte sie wieder zurück an ihren Platz. »Lass es dir schmecken, Tantchen. Wenn du schön aufisst, gibt es heute Abend eine Gurke.«
Darling verdrehte die Augen und schob sich ein Stück Orange in den Mund. Joker füllte eine große grüne Tasse mit Kaffee. Er trug ein neues T-Shirt, es war blau mit zwei aufgedruckten Delfinen. Darunter stand: Delfine sind schwule Haie .
»Und woher kommst du, Katzenauge?« Joker trank schlürfend einen Schluck Kaffee, dann drehte er sein Gesicht zu mir und ließ seine gezupften Augenbrauen tanzen. »Viel gesprochen hast du ja noch nicht.«
Ich dachte an unser Haus in Hamburg, die Marmorstatuen im Vorgarten, Erikas Ankleideraum, Bernhards Sauna im Keller und meinen Bereich im Obergeschoss mit Balkon und Blick auf die Elbe. Dann fielen mir die Worte von Tempelhoffs Assistentin ein.
Es gibt kein Skript und keinen Drehplan. Erzählt, was ihr wollt, seid einfach ihr selbst – oder von mir aus, jemand anders.
Ich erwiderte Jokers Blick. »Aus einer Favela in Rio«, sagte ich ruhig.
Moon sah von ihrem Zeichenblock auf.
»Das ist nicht witzig«, meinte Milky. Sein freundliches Gesicht verzog sich, er sah enttäuscht aus.
»Nein«, sagte ich. »Das ist es nicht.«
Ich schenkte mir Milch und Kaffee in meine Tasse und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.
Pearl strich sich eine Locke aus der Stirn und räusperte sich. »Elfe hat gesagt, du kommst aus dem Zirkus?«, wandte sie sich an den Chinesen. Lung, fiel mir ein. Der Zirkusjunge mit dem langen schwarzen Zopf hieß Lung.
Er trug ein enges blaugraues T-Shirt mit V-Ausschnitt und an seinem Hals baumelte ein silberner Drachenanhänger.
»Ja«, entgegnete Lung schlicht. Sein Deutsch war akzentfrei. »Tempelhoff hat mich bei einer Vorstellung gesehen. Und dich hat er also aus dem Knast geholt?« Lung grinste Joker an. »Weshalb bist du verhaftet worden? Sex mit Scheintoten?«
Darling lachte, eine Spur zu laut.
»Ich habe einer Blondine die Nase gebrochen«, sagte Joker. »Wollt ihr wissen, wie?«
»Du hast einen Hunderteuroschein unter ihren Glastisch geklebt«, sagte Darling und gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.
»Apropos Glastisch«, bemerkte sie beiläufig. »Was soll eigentlich dieses Auge in der Mitte?«
»Das was?« Milky runzelte die Stirn.
Darling schob das Toastbrot zur Seite. »Das hier«, sagte sie und zeigte auf ein schwarzes Rechteck mit einem blauen Kreis, das aussah, als wäre es ein Stilelement des Tisches.
Es ist mir im Nachhinein unerklärlich, warum es uns nicht bereits gestern aufgefallen war; aber es gibt ja diesen Satz, dass die offensichtlichsten Dinge oft am leichtesten
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