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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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sahen fast aus, als ob man nach ihnen greifen könnte, so klar waren sie. Aber unser Grundstück war dunkel und mein Feuerzeug spendete nur dürftiges Licht. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich mir eins der Windlichter aus dem Haupthaus holen sollte, aber dann ließ ich es bleiben. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und ging dem Rauschen des Meeres entgegen.
    Als ich durch den Vorhang der Bäume auf den Strand sah, entdeckte ich ihn. Ganz ruhig stand er am Wasser, eine schmale Schattengestalt vor dem dunklen Meer, das von einem riesigen, fast vollen Mond beschienen wurde. Das kalte Licht spiegelte sich in der schwarzen Oberfläche, die so glatt war, dass ich zwei Monde sah, zwillingsgleich, der eine in der Luft, der andere auf dem Wasser.
    Ich wollte auf ihn zugehen, aber meine Beine gehorchten mir nicht.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand und ihn ansah. Was war es, das mich so zu ihm hinzog? Selbst hier aus der Entfernung spürte ich die rätselhafte Sehnsucht, die dieser Junge in mir auslöste, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte. Es war eine körperliche Empfindung, ich weiß sogar noch, dass ich sie lokalisieren konnte. Tief in meiner Brust saß sie und ein unsichtbarer Faden zog und zog daran.
    Plötzlich drehte er sich zu mir um. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, nur seine Hand. Er hob sie und winkte mir zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich längst bemerkt hatte.
    Wie erstarrt blieb ich stehen.
    Die Kameras nehmen auch auf, was sich im Stockdunkeln bewegt.
    Hastig wandte ich mich ab. Mein Herz raste und meine Hand zitterte, als ich das Feuerzeug anmachte. Wie ein Dieb mit leeren Händen schlich ich durch die Dunkelheit zurück ins Haus und verkroch mich in meinem Bett.
    Aber schlafen konnte ich nicht mehr.

Sechs
    DER KLEINE VOGEL sang direkt an meinem Ohr.
    Es klang wie ein Ruf, ein fröhliches, leicht verschmitztes Beng-Tschiwi … Beng-Tschiwi … Beng-Tschiwi …
    Irgendwann in dieser langen, schlaflosen Nacht musste ich wohl doch weggedämmert sein, denn als ich die Augen öffnete, wusste ich im ersten Moment gar nicht, wo ich war.
    Dann sah ich durch den dünnen Stoff meines Bettenhimmels die Umrisse der anderen. Aus Elfes Bett drang noch immer leises Schnarchen. Elfe hatte mir ihr Gesicht zugewandt und lächelte, dann schmatzte sie und drehte sich geräuschvoll auf die andere Seite. Auf ihrem Nachttisch lag das Märchenbuch, eins ihrer drei Inseldinge. Eingewickelt in das weiße Laken, kroch ich zu meiner Kleidertruhe und angelte eine ausgeblichene Jeans und ein hellgrünes T-Shirt hervor. Ich musste an unseren Flug denken, an Elfes Befürchtungen, die Stylistin könnte Jeanshosen für sie ausgesucht haben. Bei mir war es umgekehrt, ich hatte eine Höllenangst gehabt, irgendwelche extravaganten Kleidungsstücke auf der Insel vorzufinden, und nahm zutiefst erleichtert meine schlichte Garderobe in Augenschein.
    Dann stieg ich leise die Leiter empor, um mich zu waschen und umzuziehen. Die Toilettentür war abgeschlossen, aber gerade als ich mir die Zähne putzen wollte, trat Darling heraus. Sie trug ein kurzes Nachthemd aus einem blutroten, glänzenden Stoff, zu dem ihre Handgelenkschiene wie ein schmückendes Accessoire wirkte. Aber ihr Gesicht sah müde und abgekämpft aus wie nach einer durchwachten Nacht und es kam mir vor, als ob sie meine Anwesenheit erschreckt hätte. Ihre Mundwinkel zuckten, es war ein winziger Moment, in dem sie mir beinahe sympathisch war, weil sie plötzlich verletzlich wirkte, aber dann setzte sie wieder ihr spöttisches Lächeln auf und schob sich wortlos an mir vorbei zur Leiter.
    Als ich mich fertig gemacht hatte, war sie fort.
    Die anderen lagen noch in ihren Betten und schliefen.
    Nervös ließ ich meinen Blick im Raum umherschweifen. War er wach? Ich versuchte, mir Tempelhoff vorzustellen, vor den Monitoren auf seiner Nachbarinsel mit einem Becher Kaffee in der Hand – und mich auf seinem Bildschirm. Auf unserer Anfahrt hatten wir die Nachbarinsel nicht sehen können, vielleicht lag sie auf der hinteren Seite von Isola .
    Im Bett neben der Tür schlief Krys, das dürre Mädchen mit den roten Haaren. Sie lag halb auf der Seite und im Arm hielt sie einen großen Stoffteddy. Seine pelzige Pfote, dessen Tatze am Flughafen aus dem Rucksack gelugt hatte, war jetzt demonstrativ in die Höhe gestreckt, als ob er mir zuwinken wollte, und seine braunen Knopfaugen sahen warm und tröstlich aus. Auch Krys

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