Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
Isrim
D ie erste Juliwoche war vergangen. Die Sonne schien nach wie vor sommerlich heiß vom Himmel.
V or zwei Tagen hatten Aaniya, Goran und Emma endlich den Fuß der Sigral-Berge erreicht. Der Gebirgswald war abrupt zu Ende gewesen, und die weitere Reise hatte Aaniya und ihre beiden Begleiter durch eine von vielen Hügeln und Ruinen vergangener Tage geprägte Landschaft geführt. Die heilenden Kräuter, die Aaniya für Goran gesucht hatte, wirkten überraschend gut. Noch waren die drei ein gutes Stück von der Wüste Isrim entfernt, doch die ehemals faustgroße Brandblase leuchtete nur noch als hellrosafarbener Fleck auf Gorans rechtem Schulterblatt. Je weiter sie in Richtung Nordwesten kamen, desto spärlicher wurde der Bewuchs, und die Bäche und Flüsse, die Emma als lebensnotwenige Quellen aufspürte, waren schon bald zu kleinen Rinnsalen verkommen.
Am Abend des vierten Tages nach der unglücklichen Begegnung mit Grom, als sie an einem winzigen Wasserlauf ihr Nachtlager errichteten, meinte Emma: „Füllt all eure Wasserbehälter so voll wie es nur geht. Morgen kommen wir in die Wüste.“
Und so kramte n Aaniya und Goran, bevor sie sich todmüde auf ihre Decken fallen ließen, die Wasserschläuche aus den Rucksäcken und hielten sie solange in die sanfte Strömung, bis die Lederbeutel zum Platzen gefüllt waren.
Am nächsten Morgen , nachdem sie einen ziemlich flüssigen Mehlbrei gefrühstückt hatten, brachen sie gestärkt auf. Bald bemerkte Aaniya, dass die Wüste ihre Finger schon nach ihnen ausstreckte. Der Boden wurde sandiger und sandiger, und dann, so gegen Mittag, ragten nur noch ein paar traurige Grashalme aus dem überhitzen, gelben Meer, durch das sie sich die nächsten beiden Tage kämpfen mussten.
Goran schritt schweigend neben Aaniya her. Die zwei hatten die letzten Tage nicht mehr als sonst miteinander gesprochen, aber Aaniya glaubte, dass Goran sie nun anders betrachtete als zuvor. Seine Blicke, die immer wieder verstohlen über ihr Gesicht wanderten, fühlten sich eigenartig an. Fast wie eine Liebkosung. Es schien eine neue, magnetische Kraft zwischen den beiden zu wirken, denn auch Aaniya musste ihrerseits Goran wieder und wieder mit den Augen berühren. Natürlich ließ sie ihn das nicht merken. Doch während sie tiefer in die Wüste Isrim eindrangen, stellte sich Aaniya immer wieder die Frage, wieso sich ihre Einstellung gegenüber Goran so drastisch verändert hatte. Konnte dieses seltsame, anziehende Gefühl in ihrer Brust Liebe sein, das sie immer dann besonders stark verspürte, wenn sie Goran in die Augen blickte? Aber wieso sollte sie sich gerade jetzt verlieben? Oder war das die Einsamkeit, die sie verführte? Ja, vermutlich reagierte sie auf die extreme nervliche Belastung mit einem Hilfeschrei nach einer anderen Seele. Nur so konnte sich Aaniya das erklären, was ihr Körper ihr anzeigte.
Bis zum Abend hatten Aaniya, Goran und Emma schon fast die Hälfte ihrer Wüstenreise hinter sich gebracht. Als die Sonne dann am Horizont die Dünen berührte, schlugen die drei mitten in der sandigen Einsamkeit ihr Nachtlager auf. Während sie etwas Brot und Käse aßen - dem Proviant, den sie von den Niwis bekommen hatten -, bestaunten Aaniya, Goran und Emma den wundervollen Sonnenuntergang, der das Dünenmeer um sie herum zunächst goldorange und dann pink-violett leuchten ließ. Dann, als die Strahlen der Sonne vollkommen erloschen waren und die ersten Sterne am tiefblauen Himmelszelt aufgingen, legten sich Aaniya und Goran schlafen. Jedoch mit dem Verschwinden der Sonne wurde es mit einem Mal überraschend kalt. Zunächst wickelte sich Aaniya nur fester in ihre Decke, doch bald schon fröstelte sie so sehr, dass sie ihre widerstrebende Vernunft überwand und ihrem Instinkt folgte. Langsam, ganz langsam rutschte sie immer weiter hinüber zu Goran, der mit dem Rücken zu ihr gedreht dalag. Seinem regelmäßigen Atemrhythmus zufolge musste er schon seelenruhig schlafen. Endlich war sie Goran sehr, sehr nahe, ohne dass der aufgewacht war. Sachte schmiegte sich Aaniya an den Rücken ihres Begleiters und fand nach einem Moment der größten Verwunderung über sich selbst endlich die Ruhe, die sie in einen tiefen Schlaf fallen ließ.
Am Morgen wachte Aaniya erst auf, als Goran schon geschäftig das Frühstück bereitete. Im Liegen noch rieb sie sich ausgiebig den Sand der Nacht aus dem Gesicht. Da trat Goran zu ihr. Zunächst verstand sie nicht, weshalb er sie so eigenartig
Weitere Kostenlose Bücher