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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Möglichkeiten, wie man eine Strecke aufteilen kann. Die Antwort darauf hat mit dem mystisch-kulturellen Erbe der Pythagoreer und Platons zu tun. Wie Sie sich erinnern, waren die Pythagoreer von Zahlen geradezu besessen. Ihnen galten die ungeraden Zahlen als männlich und gut und, wenig schmeichelhaft, die geraden als weiblich und schlecht. Sie hatten eine besondere Affinität zu der Zahl 5, der Vereinigung von 2 und 3, der ersten geraden (weiblichen) und der ersten ungeraden (männlichen) Zahl. (Die Zahl 1 wurde nicht als Zahl betrachtet, sondern galt als Generator aller Zahlen.) Für die Pythagoreer symbolisierte die Zahl 5 somit Liebe und Ehe, und sie verwendeten das Pentagramm – den fünfzackigen Stern (Abbildung 62) – als Symbol ihrer Schule. Hier hat der Goldene Schnitt seinen ersten Auftritt. Wenn Sie ein regelmäßiges Pentagramm betrachten, entspricht das Verhältnis der Seite eines Dreiecks zu dessen Basis (
a
/
b
in Abbildung 61) exakt dem Goldenen Schnitt. Genauso entspricht auch das Verhältnis jeder Diagonalen eines regelmäßigen Fünfecks zu einervon dessen Seiten (
c
/
d
in Abbildung 63) dem Goldenen Schnitt. Ja, um vermittels einer Grundseite und eines Zirkels ein Pentagramm zu konstruieren (der normalen Vorgehensweise der alten Griechen), muss man diese Seite gemäß dem Goldenen Schnitt teilen.

    Abbildung 63
    Platon fügte der mythischen Bedeutung des goldenen Schnitts noch eine weitere Dimension hinzu. Die Menschen im antiken Griechenland glaubten, dass jedes Ding im Universum aus vier Elementen zusammengesetzt sei: aus Erde, Feuer, Wasser und Luft. Im
Timaios
versucht Platon die Struktur von Materie mittels der fünf regelmäßigen Körper zu erklären, die man heute nach ihm
platonische Körper
oder regelmäßige Polyeder (Abbildung 64) nennt. Diese konvexen Körper – Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder – sind die einzigen, bei denen alle Flächen (des jeweiligen Körpers) gleich sind, regelmäßige Polygone («Vielflächner»), deren Eckpunkte jeweils auf einer Kugeloberfläche zu liegen kommen würden. Platon setzte vier dieser Körper mit je einem der kosmischen Grundelemente gleich. Die Erde wurde zum Beispiel dem stabilen Würfel zugeordnet, das alles durchdringende Feuer dem spitzigen Tetraeder, Luft dem Oktaeder und Wasser dem Ikosaeder. Was aber den Dodekaeder (Abbildung 64d), die «fünfte Zusammensetzung» gleicher Flächen betraf, so «bediente der Gott sich ihrer bei der Ausschmückung des Alls», schrieb Platon. Beachten Sie aber, dass das Dodekaeder mit seinen zwölf fünfeckigen Flächen den Goldenen Schnitt geradezu eingemeißelthat. Sowohl sein Volumen als auch seine Seitenflächen lassen sich als einfache Funktionen des Goldenen Schnitts ausdrücken (dasselbe gilt übrigens für das Ikosaeder).

    Abbildung 64
    Die Geschichte zeigt also, dass die Pythagoreer und ihre Nachfolger vermittels zahlloser Versuche und Irrtümer Mittel und Wege
entdeckt
hatten, gewisse geometrische Figuren zu konstruieren, die für sie wichtige Gegebenheiten wie Liebe und den gesamten Kosmos repräsentierten. Kein Wunder also, dass sie und Euklid (der ihre Tradition schriftlich festgehalten und überliefert hat), den Begriff des Goldenen Schnitts
erfanden
, der diesen Konstruktionen zugrunde liegt, und ihm einen Namen gaben. Im Unterschied zu anderen willkürlichen Aufteilungsverhältnissen rückte die Zahl 1,618 … nunmehr in den Mittelpunkt einer intensiven und bunten Historie von Nachforschungen und taucht auch heute noch immer wieder an höchst unerwarteten Orten auf. So machte zum Beispiel der deutsche Astronom Johannes Kepler zwei Jahrtausende nach Euklid die
Entdeckung
, dass diese Zahl auf wundersame Weise im Zusammenhang mit einer Folgevon Zahlen erschien, denen man den Namen
Fibonacci-Zahlen
gegeben hat. Besagte Fibonacci-Zahlen lauten: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, 233, … und sind dadurch bestimmt, dass ab dem dritten Glied der Reihe jede Folgezahl die Summe ihrer beiden Vorgänger ist (zum Beispiel: 2 = 1 + 1, 3 = 1 + 2, 5 = 2 + 3 und so weiter). Wenn Sie nun jede Zahl in dieser Reihe durch ihren unmittelbaren Vorgänger teilen (zum Beispiel 144 : 89, 233 : 144, …), werden Sie feststellen, dass die Quotienten in ihrem Wert um den Goldenen Schnitt herumpendeln und sich diesem immer weiter annähern. So erhält man zum Beispiel folgende Ergebnisse (auf die sechste Stelle hinter dem Komma gerundet): 144 : 89 = 1,617978, 233 : 144 = 1,618056, 377 :

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