Ist Gott ein Mathematiker
bezeichnet dies als
Präzession,
das Ganze ähnelt in etwa der «eiernden» Bewegung, die die Achse eines tanzenden Kreisels vollführt. Ja, moderne Untersuchungen haben gezeigt, dass die Planetenbahnen im Gegensatz zu dem, was Laplace erwartet hatte, am Ende womöglich chaotisch werden. Newtons so fundamentale Theorie ging freilich später in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie auf. Und der Geburt dieser Theorie ging ebenfalls eine Reihe von Fehlstarts und Beinahefehlschlägen voraus. Die Genauigkeit einer Theorie lässt sich also nicht vorhersehen oder erwarten. Probieren geht über Studieren – ständig werden Veränderungen und Verbesserungen vorgenommen, bis die gewünschte Genauigkeit erreicht ist. Die wenigen Fälle, in denen größtmögliche Genauigkeit mit einem einzigen Schritt erreicht wird, erscheinen uns wie Wunder.
Offensichtlich steht hinter alldem eine entscheidende Tatsache, die die Suche nach fundamentalen Gesetzmäßigkeiten lohnenswert macht. Die Tatsache nämlich, dass die Natur freundlicherweise von
allgemeingültigen
Gesetzen und nicht von Feld-Wald-und-Wiesen-Regeln mit beschränkter Reichweite gelenkt wird. Ein Wasserstoffatom auf der Erde, eines am anderen Ende der Milchstraße, ja gar eines in einer Galaxie, die zehn Milliarden Lichtjahre entfernt ist, verhalten sich in genau derselben Art und Weise. Und das gilt zu jeder Zeit und für jede Richtung, in die wir schauen. Mathematiker und Physiker haben einen physikalischen Terminus erfunden, der solche Eigenschaften beschreibt, man spricht hier von
Symmetrien,
und diese sind ein Maß für die Unveränderlichkeit eines Systems im Hinblick auf bestimmte Wechsel von Ort, Zeit und Orientierung. Ohne solche Symmetrien wäre es schlecht bestellt um unsere Hoffnung, je den großen Entwurf der Natur entschlüsseln zu können, denn jedes Experiment müsste unablässig an jedem Ort im Raum wiederholt werden (so sich in einem solchen Universum überhaupt Leben entwickeln könnte). Ein weiteres Merkmal des Kosmos, der den Bühnenhintergrund aller mathematischen Theorie bildet, lautet
Lokalität
–die Möglichkeit, aufbauend auf der Beschreibung von grundlegendsten Interaktionen unter den Elementarteilchen, einem Puzzle gleich das «große Bild» zu konstruieren.
Wir kommen nun zum letzten Element in Wigners Puzzle: Was garantiert, dass eine mathematische Theorie überhaupt existiert? Mit anderen Worten: Warum gibt es beispielsweise eine allgemeine Relativitätstheorie? Könnte es nicht auch so sein, dass es gar keine mathematische Theorie der Schwerkraft gibt?
Die Antwort auf diese Frage ist genau genommen viel einfacher, als Sie womöglich geneigt sind anzunehmen. Es gibt in der Tat keine Garantien! Für eine Vielzahl an Phänomenen sind keine genauen Vorhersagen, ja nicht einmal prinzipielle Einschätzungen möglich. Zu dieser Kategorie gehört zum Beispiel ein ganzes Spektrum an dynamischen Systemen, die ihrer Struktur nach
chaotisch
sind und in denen die winzigsten Änderungen der Ausgangsbedingungen komplett andere Endergebnisse zeitigen. Zu den Phänomenen, die ein solches Verhalten an den Tag legen, gehören Dinge wie der Aktienmarkt, das Wetter in den Rocky Mountains, eine Kugel im Roulettekessel, Rauch, der aus einer Zigarette aufsteigt, und, in der Tat, die Umlaufbahnen der Planeten des Sonnensystems. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Mathematiker nicht über geniale Formalismen verfügten, mit denen sie einige wichtige Aspekte dieser Probleme angehen können, aber es gibt keine deterministische, prädikative Theorie. Das gesamte Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik verdankt ja seine Existenz ebendem Bedürfnis, auch Bereiche anzupacken, in denen man keine Theorie zur Verfügung hat, die es einem erlaubt, mehr aus seinen Überlegungen herauszuholen, als man hineingesteckt hat. Ganz ähnlich umreißt ein Gebiet namens
Komplexitätstheorie
die Grenzen unserer Fähigkeit, Probleme mittels handhabbarer Algorithmen zu lösen, und Gödels Unvollständigkeitssätze zeigen der Mathematik sogar gewisse Beschränkungen auf, die in ihr selbst gründen. Die Mathematik ist also für manche Beschreibungen außerordentlich effizient – vor allem für solche im Bereich der Grundlagenwissenschaft –, vermag aber nicht unser Universum in allen seinen Dimensionen zu erfassen. Bis zu einem gewissen Grad haben Wissenschaftler sich die Probleme, die sie sich zu lösenvorgenommen haben, auch immer schon danach ausgesucht, ob diese
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