Ist Gott ein Mathematiker
englischen Diplomaten in Venedig, gelang es, am Tag des Erscheinens von
Sidereus Nuncius
ein Exemplar des Buches zu ergattern. Er sandte es auf der Stelle an König Jakob I. von England, zusammen mit einem Brief, in dem es unter anderem hieß:
Hiermit übersende ich eurer Majestät die seltsamste Neuigkeit (wie ich sie zu Recht nennen darf), die sie je aus meinem Teil der Welt erhalten hat; namentlich das beiliegende Buch (welches am heutigen Tage erschienen ist) jenes Mathematikprofessors aus Padua, der vermittels eines optischen Instruments … vier neue Planeten entdeckt hat, die um den Kugelleib des Jupiter herum rotieren, dazu viele andere unbekannte Fixsterne.
Ganze Bände könnte man schreiben – sind tatsächlich bereits geschrieben worden –, wollte man Galileis zahllose Entdeckungen angemessen würdigen, das aber würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Ich möchte an dieser Stelle nur die Folgen beleuchten, die einige dieser außergewöhnlichen Erkenntnisse für Galileis Vorstellung vom Universum hatten, und insbesondere: Welche Beziehung sah er – wenn überhaupt – zwischen der Mathematik und der unfassbaren Weite dieses Kosmos?
Das große Buch der Natur
Der Wissenschaftsphilosoph Alexandre Koyrè (1892–1964) behauptete einst, die umwälzenden Veränderungen, die Galilei im wissenschaftlichen Denken bewirkt habe, ließen sich im Wesentlichen auf ein Element herunterbrechen: auf die Erkenntnis, dass die Mathematik die Grammatik der Wissenschaften sei. Während die Aristoteliker sich mit einer rein qualitativen Beschreibung der Natur zufriedengaben und sich selbst dazu auf die Autorität des Aristoteles beriefen, verlangte Galilei, dass Wissenschaftler auf die Natur selbst hören sollten, und beharrte darauf, dass der Schlüssel zur Entzifferung des kosmischen Getriebes in mathematischen Beziehungen und geometrischen Modellen bestehe. Der unüberbrückbare Unterschied zwischen den beiden Ansätzen lässt sich an den Schriften der prominenten Vertreter beider Lager ablesen. Hier der Aristoteliker Giorgio Coresio: «Lassen Sie uns daher zu dem Schluss kommen, dass derjenige, der nicht im Dunkeln arbeiten will, Aristoteles, den herausragenden Interpreten der Natur, zurate ziehen muss.» Worauf ein anderer Aristoteliker, der Philosoph Vincenzo di Grazia aus Pisa, hinzufügt:
Bevor wir uns Galileis Berichten zuwenden, scheint es notwendig zu zeigen, wie weit entfernt von der Wahrheit jene sind, die natürliche Gegebenheiten vermittels mathematischer Beweisführung zu beweisen wünschen, zu denen, wenn ich mich nicht irre, auch Galilei gehört. Alle Wissenschaften und alle Künste verfügen über ihre eigenen Prinzipien und ihre eigenen Ursachen, vermittels welcher sie die besonderen Eigenschaften ihres eigenen Forschungsgegenstandsbelegen.
Daraus ergibt sich, dass es uns nicht erlaubt ist, die Prinzipien der einen Wissenschaft heranzuziehen, um die Besonderheiten einer anderen zu belegen.
[Kursivierung von mir] Wenn deshalb jemand glaubt, er könne natürliche Eigenschaften vermittels mathematischer Argumente beschreiben, so ist er nichts anderes als irregeleitet, denn die beiden Wissenschaften sind höchst unterschiedlich. Der Naturforscher untersucht natürliche Körper, denen Bewegung als natürlicher und angemessener Zustand eigen ist, der Mathematiker aber entkleidet von aller Bewegung.
Diese Vorstellung von einer hermeneutischen Aufteilung der einzelnen Wissenschaftszweige war genau jene Art von Denkweise, die Galilei wütend machte. In seinem Manuskript über die Hydrostatik –
Abhandlung über die Dinge, die sich auf dem Wasser halten können
– führte er die Mathematik als machtvolles Instrument ein, das es dem Menschen möglich mache, den Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen.
Ich erwarte härtesten Tadel von einem meiner Kontrahenten, und ich kann ihn förmlich mir ins Ohr rufen hören, dass es eine Sache sei, sich physikalisch mit den Dingen auseinanderzusetzen, hingegen etwas ganz anderes, dies mathematisch zu tun, und dass Geometer bei ihren Hirngespinsten bleiben und sich nicht auf philosophische Fragen einlassen sollten, bei denen die Schlussfolgerungen anders aussähen als in der Mathematik. Als ob es je mehr als eine Wahrheit geben könne, als ob die Geometrie unserer Zeit ein Hindernis zum Erwerb wahrer philosophischer Erkenntnis sei und als ob es unmöglich sei, Geometer und Philosoph in einem zu sein, woraus wir als notwendige Schlussfolgerung annehmen müssten,
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