Ist Gott ein Mathematiker
den ersten Versuch handelte, eine Theorie des Universums als Ganzes zu formulieren, die auf denselben Gesetzen basierte, die auch auf der Erdoberfläche galten. Mit anderen Worten: Für Descartes gab es keinen Unterschied zwischen Phänomenen auf der Erde und Phänomenen am Firmament – die Erde war für ihn Teil eines Universums, das einheitlichen physikalischen Gesetzen gehorchte. Leider verstieß Descartes bei der Konstruktion seiner Theorie, die sich weder auf mathematische Überlegungen noch auf systematische Beobachtungen stützte, gegen seine eigenen Prinzipien. Dessen ungeachtet enthielt sein Szenario, in dem die Sonne und die Planeten auf irgendeine Weise die Ebenmäßigkeit des Universums um sich herum störten, einige Elemente, die sehr viel später zu einem der Eckpfeiler der Einstein’schen Gravitationstheorie werden sollten. In Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie hat die Gravitation aufgehört, eine geheimnisvolle Kraft zu sein, die über die riesigen Entfernungen des Weltalls wirkt. Vielmehr krümmen massive Körper wie die Sonne den Raum in ihrer Umgebung, so ähnlich wie eine Kegelkugel ein Trampolin eindellen würde. Die Planeten folgen in dem so verformten Raum dann einfach der kürzestmöglichen Bahn.
Ich habe in dieser extrem verkürzten Darstellung der Descartes’schen Vorstellungen absichtlich so gut wie alle seine bedeutenden Arbeiten auf dem Gebiet der Philosophie unerwähnt gelassen, weil uns das zu weit von unserem Hauptaugenmerk – dem Wesen der Mathematik – wegführen würde (ich werde später in diesem Kapitel auf einige seiner Gedanken zu Gott zurückkommen). Ich kann mir allerdings nicht verkneifen, den folgenden amüsanten Kommentar wiederzugeben, den der britische Mathematiker Walter William Rouse Ball (1850–1925) im Jahr 1908 niedergeschrieben hat:
Was seine [Descartes’] philosophische Theorien betrifft, reicht es hin zu sagen, dass er dieselben Probleme diskutiert hat, über die in den vergangenen zweitausend Jahren debattiert worden ist und über die vermutlich weitere zweitausend Jahre mit unvermindertem Eifer debattiert werden wird. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass die Probleme selbst von Interesse und Bedeutung sind, von der Natur der Sache her aber keine je vorgeschlagene wie auch immer geartete Lösung endgültig zu beweisen oder zu widerlegen sein wird, alles, was getan werden kann, ist, eine Lösung wahrscheinlicher zu machen als eine andere, und wann immer ein Philosoph wie Descartes geglaubt hat, er habe eine Frage schließlich ein für allemal beantwortet, ist es seiner Nachwelt gelungen, die Fehlerhaftigkeit seiner Aussagen nachzuweisen. Ich habe irgendwo gelesen, dass die Philosophie sich immer hauptsächlich mit den Beziehungen zwischen Gott, der Natur und dem Menschen befasst hat. Die ersten Philosophen waren Griechen, die sich hauptsächlich mit den Beziehungen zwischen Gott und der Natur beschäftigt und den Menschen gesondert abgehandelt haben. Die christliche Kirche war so mit der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen beschäftigt, dass sie die Natur völlig vernachlässigt hat. Die modernen Philosophen schließlich widmen sich hauptsächlich den Beziehungen zwischen dem Menschen und der Natur. Ob dies wirklich eine historisch wasserdichte Verallgemeinerung der Ansichten ist, die sich in Folge abgelöst haben, will ich an dieser Stelle nicht diskutieren, doch die Aussage zum Betätigungsfeld moderner Philosophie macht die Grenzen von Descartes’ Schriften offenbar.
Descartes beendete sein Buch zur Geometrie mit den Worten: «Ich hoffe, dass unsere Enkel mir nicht nur für die Dinge Dank wissen werden, die ich hier auseinandergesetzt habe, sondern auch für diejenigen, die ich absichtlich übergangen habe, um ihnen das Vergnügen zu überlassen, sie zu erfinden» (siehe Abbildung 25). Er konnte nicht ahnen, dass ein Mann, der in dem Jahr, als Descartes starb, erst acht Jahre alt war, seinen Begriff von der Mathematik als dem Herzstück aller Wissenschaft einen Riesenschritt weiterführen sollte. Sein unerreichtes Genie hatte mehr Gelegenheiten zum «Vergnügen der Entdeckung» als vermutlich jede andere Person in der Geschichte der Menschheit.
Abbildung 25
Und es ward Licht
Der große englische Dichter Alexander Pope (1688–1744) war neununddreißig Jahre alt, als Isaac Newton (1642–1727) starb (Abbildung 26 zeigt Newtons Grab in der Westminster Abbey). In einem berühmten Vers versuchte Pope Newtons Leistungen zu
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