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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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durch die Mathematik beschreibbar, sondern auch die Mathematik selbst wurde breiter, vielfältiger und zugleich einheitlicher. Um es mit den Worten des großen Mathematikers Joseph-Louis Lagrange (1736–1813) zu sagen: «Solange Algebra und Geometrie eigene Pfade beschritten, waren ihre Fortschritte gemessen, ihre Anwendungen begrenzt. Sobald diese beiden Wissenschaften sich jedoch zusammengetan hatten, schöpften sie voneinander neue Lebenskraft und marschierten mit schnellem Schritt ihrer Vervollkommnung entgegen.»
    So Bedeutsames Descartes auch auf dem Gebiet der Mathematik geleistet haben mochte, so war sein wissenschaftliches Interesse keineswegs auf die Mathematik beschränkt. Wissenschaft, sagte er, sei wie ein Baum, mit der Metaphysik als Wurzeln, der Physik als Stamm sowie den drei Hauptästen Mechanik, Medizin und Moral. Die Wahl der Äste mag auf den ersten Blick ein wenig überraschend erscheinen, aber tatsächlich symbolisieren die drei Äste wunderbar die drei Hauptgebiete, auf denen Descartes seine neuen Ideen anzuwenden gedachte: das Universum, der menschliche Körper und die Art der Lebensführung. Descartes verbrachte die ersten vier Jahre seines Aufenthalts in Holland – von 1629 bis 1633– damit, eine Schrift über den Kosmos und die Physik –
Traité du Monde
(«Abhandlung über die Welt») – zu schreiben. Gerade als das Buch in Druck gehen sollte, erreichten Descartes schockierende Nachrichten, die ihn zutiefst erschütterten. In einem Brief an seinen Freund und Kritiker Marin Mersenne (1588–1648) klagte er:
    Tatsächlich hatte ich mir vorgenommen, Ihnen meine
Welt
als Neujahrsgeschenk zu schicken, und es ist nicht mehr als fünfzehn Tageher, dass ich noch fest entschlossen war, Ihnen wenigstens einen Teil zu senden, falls das Ganze in dieser Zeit nicht abgeschrieben werden konnte; aber ich will Ihnen erzählen, daß ich mich dieser Tage in Leyden und Amsterdam habe danach erkundigen lassen, ob das
System der Welt
von Galilei dort vorhanden ist, weil es mir so schien, als ob ich gehört hätte, es sei im vergangenen Jahr in Italien gedruckt worden, und daß man mir berichtete, es sei wahr, daß es gedruckt worden ist, daß aber zur gleichen Zeit in Rom sämtliche Exemplare verbrannt worden sind und er selbst zu irgendeiner Strafe verurteilt wurde: das hat mich so sehr in Erstaunen versetzt, daß ich mich fast entschlossen habe, alle meine Papiere zu verbrennen oder sie zumindest von niemandem sehen zu lassen. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß er, der doch Italiener und sogar vom Papst, wie ich höre, gern gesehen ist, für etwas anderes vor Gericht hat gebracht werden können als dafür, daß er ohne Zweifel die Bewegung der Erde wird haben feststellen wollen, was, wie ich wohl weiß, schon früher von einigen Kardinälen gerügt worden ist; aber gehört zu haben, daß man seitdem nicht davon abließ, sie in Rom öffentlich zu lehren; und ich gestehe, daß, wenn sie falsch ist, alle Grundlagen meiner Philosophie es ebenfalls sind, denn jene wird durch diese klar bewiesen. Und sie ist derart mit allen Teilen meiner Abhandlung verbunden, daß man sie nicht herauslösen könnte, ohne das Übrige gänzlich mangelhaft zu machen. Da ich aber für nichts in der Welt möchte, daß Eine Abhandlung von mir herauskäme, in der sich das geringste Wort befindet, das von der Kirche mißbilligt werden könnte, ziehe ich es vor, sie eher zu unterdrücken als verstümmelt erscheinen zu lassen
    Descartes sah in der Tat von der Veröffentlichung von
Traité du Monde
ab (das unvollständige Manuskript wurde schließlich 1664 postum gedruckt), aber die meisten seiner Erkenntnisse ließ er in seine
Prinzipien der Philosophie
einfließen, die 1644 erschienen. In diesem umfassenden Werk stellte Descartes die Naturgesetze und seine Wirbeltheorie des Universums vor. Zwei seiner Gesetze erinnern stark an Newtons erstes und zweites Bewegungsgesetz, die anderen hingegen waren schlicht falsch. Die Wirbeltheorie nimmt an, dass die Sonne das Zentrum eines großen kontinuierlichen Wirbelsystems bildet. Die Planeten sollten darin umhergetrieben werden wie Blätter in einem Strudel, der sich im Wasser eines Flusslaufs bildet. Die Planeten selbst sollten ihrerseits das Zentrum kleinerer Wirbel darstellen, die ihre Satellitenoder Monde umherwirbelten. Zwar lag Descartes’ Wirbelthese komplett daneben (wie Newton später gnadenlos feststellen sollte), doch war sie immerhin insofern interessant, als es sich doch um

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