Ist Gott ein Mathematiker
in bestimmter Gesetzmäßigkeit eintritt, dass wir also gezwungen werden, auch bei noch so zufällig erscheinenden Dingen eine gewisse Nothwendigkeit, und sozusagen ein Fatum anzunehmen. Ich weiss nicht, ob hierauf schon
Plato
in seiner Lehre vom allgemeinen Kreislaufe der Dinge hinzielen wollte, in welcher er behauptet, dass Alles nach Verlauf von unzähligen Jahrhunderten in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt.
Das Fazit dieser Geschichte der Wissenschaft von der Unbestimmtheit ist höchst einfach: Mathematik ist in gewisser Weise selbst in den weniger «wissenschaftlichen» Bereichen unseres Lebens anwendbar – sogar in solchen, die durch und durch zufallsgesteuert wirken. Wollen wir also versuchen, die «unbegreifliche Erklärungsmacht» von Mathematik zu erklären, können wir unsere Diskussion nicht auf die Gesetze der Physik beschränken. Vielmehr werden wir irgendwie herausfinden müssen, was es ist, das die Mathematik so allgegenwärtig macht.
Die ungeheure Macht der Mathematik ist auch dem berühmten Dramatiker und Essayisten George Bernard Shaw (1856–1950) nicht verborgen geblieben. Er, der definitiv nicht seiner mathematischen Fertigkeiten wegen berühmt war, schrieb einst einen recht aufschlussreichen Aufsatz mit dem Titel «The Vice of Gambling and the Virtue of Insurance» («Das Laster des Glücksspiels und die Tugend der Versicherung»). In diesem Artikel gesteht Shaw, dass Versicherung für ihn «auf Fakten gründet, die unerklärlich, und auf Risiken, die allein von Berufsmathematikern berechenbar sind». Dennoch wartet er mit folgender scharfsinniger Betrachtung auf:
Man stelle sich eine geschäftliche Unterhaltung vor zwischen einem Kaufmann, den es einerseits nach Geschäften im Ausland verlangt,der aber andererseits verzweifelte Angst davor hat, Schiffbruch zu erleiden oder von Wilden verspeist zu werden, und einem Skipper, der auf Fracht und Passagiere aus ist. Der Kapitän versichert dem Kaufmann, seine Waren seien völlig sicher, er selbst auch, wenn er sie begleiten wolle. Der Kaufmann aber, den Kopf voller Abenteuergeschichten von Jona, Paulus, Odysseus und Robinson Crusoe, traut dem Ganzen nicht. Ihre Unterhaltung würde wie folgt lauten:
Kapitän: Nun kommen Sie! Ich setzte soundso viel Pfund darauf, dass Sie in einem Jahr von heute lebendig und gesund sein werden. Kaufmann: Aber wenn ich die Wette annehme, dann müsste ich ja dieselbe Summe darauf setzen, dass ich binnen dieses Jahres sterben werde.
Kapitän: Warum nicht, wenn Sie die Wette verlieren, was garantiert der Fall sein wird?
Kaufmann: Aber wenn ich ertrinke, dann ertrinken Sie auch, und was wird dann mit unserer Wette?
Kapitän: Stimmt. Also suche ich Ihnen einen Landsmann, der die Wette mit Ihrer Frau und Ihrer Familie abschließt.
Kaufmann: Das ändert die Sache natürlich, aber wie sieht es mit meiner Fracht aus?
Kapitän: Och! Die Wette kann auch für die Ladung gelten. Oder zwei Wetten: eine auf Ihr Leben, die andere auf die Ladung. Beides wird in Sicherheit sein, sage ich Ihnen. Nichts wird passieren, und Sie werden all die Wunder betrachten, die es unterwegs zu sehen gibt.
Kaufmann: Aber wenn ich und meine Waren sicher ankommen, muss ich Ihnen den Gegenwert für mein Leben und die Waren auszahlen. Wenn ich nicht ertrinke, bin ich pleite.
Kapitän: Das stimmt allerdings auch. Aber für mich ist auch nicht so viel drin, wie Sie denken. Wenn Sie ertrinken, ertrinke ich als Erster, denn ich muss der Letzte sein, der das sinkende Schiff verlässt. Lassen Sie mich trotzdem versuchen, Sie für den Handel zu begeistern. Lassen Sie uns die Wette zehn zu eins abschließen. Reizt Sie das?
Kaufmann: Oh, in dem Falle …
Der Kapitän hat die Versicherung entdeckt wie weiland die Goldschmiede das Bankwesen.
Für jemanden wie Shaw, der sich darüber beklagt, dass während seiner Erziehung «nicht ein Wort über die Bedeutung oder den Nutzen vonMathematik gefallen» ist, erscheint diese humorvolle Würdigung der «Geschichte» der Versicherungsmathematik einigermaßen bemerkenswert.
Mit Ausnahme des Textes von George Bernard Shaw sind wir bislang der Entwicklung einiger Zweige der Mathematik mehr oder weniger mit den Augen derjenigen nachgegangen, die angewandte Mathematik betreiben. Diesen und vielen der rationalistisch gesinnten Philosophen wie Spinoza erschien der Platonismus völlig natürlich. Es war keine Frage, dass in ihrer eigenen Welt mathematische Weisheiten existierten und dass der menschliche Geist
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