Ist Gott ein Mathematiker
vorhersagen, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass eine zufällig aus der Gesamtpopulation ausgewählte Person einen IQ zwischen 85 und 100 hat. Abbildung 36 sagt uns, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür 0,341 (oder 34,1 Prozent) beträgt, denn nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist die Wahrscheinlichkeit einfach definiert als Zahl der gefragten Ergebnisse geteilt durch die Gesamtzahl aller möglichen Ergebnisse. Oder wir könnten wissen wollen, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass jemand, der aus dieser Population zufällig ausgewählt wurde, einen IQ hat, der über 130 liegt. Ein Blick auf Abbildung 36 verrät uns, dass die Wahrscheinlichkeit dafür nur 0,022 oder 2,2 Prozent beträgt. Ganz ähnlich lässt sich mit den Eigenschaftender Normalverteilung und dem Instrument der Integralrechnung (zur Berechnung von Flächen) die Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten IQ-Wert in jedem beliebigen Intervall errechnen. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeitstheorie und ihr Adlatus, die Statistik, tun sich zusammen, um uns die gewünschten Antworten zu liefern.
Abbildung 37
Wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, werden Wahrscheinlichkeiten und Statistik immer dann wichtig, wenn man es mit einer großen Anzahl von Ereignissen und nicht mit Einzelereignissen zu tun hat. Diese epochale Einsicht, auch bekannt unter dem Namen
Gesetz der großen Zahlen
, stammt von Jakob Bernoulli, der sie in seinem Buch
Wahrscheinlichkeitsrechnung
(
Ars Conjectandi
, Abbildung 37zeigt das Titelblatt) in ein Theorem goss. Vereinfacht ausgedrückt, besagt dieses Theorem, dass, wenn die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses
p
ist,
p
den Anteil angibt, den besagtes Ereignis in Relation zur Gesamtzahl an möglichen Ereignissen ausmacht. Wenn die Zahl der Versuche gegen unendlich geht, nähert sich dieser Anteil
p
immer näher an, so dass der Wert schließlich zur Gewissheit wird.
Und so hat Bernoulli das Gesetz der großen Zahlen in seiner
Ars Conjectandi
eingeführt: «Es bleibt nämlich noch zu untersuchen, ob durch Vermehrung der Beobachtungen beständig auch die Wahrscheinlichkeit dafür wächst, dass die Zahl der günstigen zu der Zahl der ungünstigen Beobachtungen das wahre Verhältniss erreicht, und zwar in dem Maasse, dass diese Wahrscheinlichkeit schliesslich jeden beliebigen Grad der Gewissheit übertrifft.» Anschließend erläutert er das Konzept an einem Musterbeispiel:
Damit noch durch ein Beispiel deutlich werde, was ich meine, nehme ich an, es seien in einer Urne ohne dein Vorwissen 3000 weisse und 2000 schwarze Steinchen und du wolltest durch Versuche das Verhältniss derselben bestimmen, indem du ein Steinchen nach dem anderen herausnimmst (jedoch so, dass du jedes gezogene Steinchen wieder zurücklegst, ehe du ein neues herausnimmst, damit die Zahl der Steinchen in der Urne nicht kleiner wird) und beobachtest, wie oft ein weisses und wie oft ein schwarzes Steinchen herauskommt. Es fragt sich nun, ob du dies so oft würdest thun können, damit es zehn-, hundert-, tausendmal u. s. w. wahrscheinlicher (d.h. schliesslich moralisch gewiss) wird, dass die Zahl der Züge, mit welchen du ein weisses Steinchen ziehst, zu der Zahl derer, mit welchen du ein schwarzes ziehst, dasselbe Verhältnis 1½, welches die Zahlen der Steinchen (oder der Fälle) selbst zueinander haben, annimmt, als dass diese Zahlen irgend ein anderes, davon verschiedenes Verhältnis bilden. Ist dies nicht der Fall, so gestehe ich, dass es um unseren Versuch, die Zahl der Fälle durch Beobachtungen zu ermitteln, schlecht bestellt ist. Wenn es aber der Fall ist, und man schließlich auf diese Weise moralische Gewissheit erhält (dass dies wirklich so ist werde ich im folgenden Kapitel zeigen), so können wir die Zahlen der Fälle
a posteriori
fast ebenso genau finden, als wenn sie
a priori
bekannt wären.
Zwanzig Jahre hat Bernoulli in die Vervollkommnung dieses Theorems investiert, heute ist es einer der zentralen Stützpfeiler der Statistik.Er beschloss seine Wahrscheinlichkeitsrechnung mit einem Glaubenskenntnis betreffs der Allgegenwart von lenkenden Gesetzmäßigkeiten – sogar bei Gelegenheiten, bei denen alles nach dem Wirken des Zufalls aussieht:
Wenn also alle Ereignisse durch alle Ewigkeit hindurch fortgesetzt beobachtet würden (wodurch schließlich die Wahrscheinlichkeit in volle Gewissheit übergehen müsste), so würde man finden, dass Alles in der Welt aus bestimmten Gründen und
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