Ist Gott ein Mathematiker
Denkens zu entdecken, ohne von irgendeinem Dasein im Universum abhängig zu sein. Wenn es auch niemals einen Kreis oder ein Dreieck in der Natur gegeben hätte, so würden doch die von Euklid demonstrierten Wahrheiten für immer ihre Gewißheit und Evidenz behalten. Tatsachen … sind nicht in gleicher Weise als gewiß verbürgt; ebensowenig ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit, wenn auch noch so stark, von der gleichen Art wie bei der vorhergehenden. Das Gegenteil jeder Tatsache bleibt immer möglich, denn es kann niemals einen Widerspruch in sich schließen …
Daß die Sonne morgen nicht aufgehen wird,
ist ein nicht minder verständlicher Satz und nicht widerspruchsvoller als die Behauptung,
daß sie aufgehen wird.
Wir würden daher vergeblich versuchen, seine Falschheit zu demonstrieren.
Mit anderen Worten: Hume besteht zwar wie alle Empiriker darauf, dass alles Wissen aus Beobachtung stammt, doch genießen die Geometrie und ihre «Wahrheiten» einen privilegierten Status.
Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) war sich mit Hume nicht immer einig, aber auch er erhob die euklidische Geometrie in einen Status der absoluten Sicherheit und unanzweifelbaren Gültigkeit. In seiner denkwürdigen
Kritik der reinen Vernunft
versucht Kant in gewisser Weise die Beziehung zwischen Geist und physikalischer Welt umzukehren: Bei ihm ist es nicht so, dass sich die Eindrücke aus der physikalischen Realität einem anderweitig völlig passiven Geist aufdrängen, sondern Kant spricht dem Geist die aktive Rolle des «Konstruierens» oder «Verarbeitens» des mit den Sinnen wahrgenommenen Universums zu. Kant richtet seine Aufmerksamkeit nach innen und fragt nicht,
was
wir wissen können, sondern
wie
wir dazu kommen zu wissen, was wir wissen. Er erklärt zum Beispiel, dass unsere Augen, während sie Lichtpartikel wahrnehmen, in unserem Bewusstsein erst dann ein Bild davon entstehen lassen, wenn diese Information vom Gehirn verarbeitet und organisiert worden ist. Eine Schlüsselrolle in diesem Konstruktionsprozess kommt dabei der menschlichen Intuition, einem synthetischen, uns
a priori
eigenen Raumbegriff, zu, dessen Fundament die euklidische Geometrie bildet. Kant war der Überzeugung, die euklidische Geometrie gebe den einzig wahren Weg für die Vorstellung von Raum und die Verarbeitung räumlicher Informationen vor, und die intuitive, universale Vertrautheit mit dem Raum sei Herzstück unserer Auseinandersetzung mit der natürlichen Welt. In Kants Worten:
Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen werden kann … Der Raum ist eine notwendige Vorstellung,
a priori,
die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. … Auf diese Notwendigkeit gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Möglichkeit ihrer Konstruktionen
a priori.
Wäre nämlich diese Vorstellung des Raums ein
a posteriori
erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äußeren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmungen sein. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahrnehmung, und es wäre eben nicht notwendig, daß zwischen zween Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Erfahrung würde es so jederzeit lehren.
Einfach ausgedrückt: Wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen, so Kant, dann muss dieser Gegenstand zwangsläufig räumlich sein, und zwar im euklidischen Raum.
Humes und Kants Überlegungen rücken zwei recht verschiedene, aber doch gleich wichtige Aspekte in den Vordergrund, die von alters her mit der euklidischen Geometrie unauflöslich verknüpft gewesen sind. Erstens die Aussage, dass die euklidische Geometrie die einzig zutreffende Beschreibung des physikalischen Raumes liefert. Und zweitens die Wahrnehmung, dass die euklidische Geometrie ein festes, eindeutig definiertes und unfehlbares deduktives Gefüge darstellt. Zusammengenommen lieferten diese beiden Eigenschaften Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Philosophen über Jahrhunderte hinweg den vermeintlich unerschütterlichen Beweis dafür, dass es in der Tat zwingende, unbezweifelbare Wahrheiten über das Universum gibt. Bis zum 19. Jahrhundert wurden diese Aussagen als selbstverständlich erachtet. Aber stimmten sie auch?
Die Fundamente für die euklidische Geometrie waren um 300 v. Chr. von dem griechischen Mathematiker Euklid von Alexandria gelegt worden. In einem monumentalen dreizehnbändigen Werk mit dem Titel
Die
Weitere Kostenlose Bücher