Ist Gott ein Mathematiker
immer der richtige Kurs sei. Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, verfasste Russell zusammen mit Alfred North Whitehead (Abbildung 49) ein unglaubliches logisches Meisterwerk – die bahnbrechende dreibändige
Principia Mathematica.
Dieses Werk ist – mit Ausnahme vielleicht von Aristoteles
Organon
– sicher das einflussreichste in der Geschichte der Logik gewesen (Abbildung 50 zeigt die Titelseite der Erstauflage).
In ihren
Principia
verteidigten Russell und Whitehead die Position,dass Mathematik im Prinzip nichts anderes als eine Ausweitung der Gesetze der Logik darstelle und es zwischen Mathematik und Logik keine klare Abgrenzung gebe. Um jedoch zu einer in sich widerspruchsfreien Beschreibung zu gelangen, waren noch immer die Paradoxa oder Antinomien (von denen es neben der von Russell benannten noch weitere gibt) zu überwinden. Das machte einiges an kunstvollem logischem Jonglieren erforderlich. Russell argumentierte, dass diese Paradoxa sich nur aufgrund eines Circulus vitiosus, eines fehlerhaften Zirkelschlusses, ergäben, in dem man Entitäten vermittels Klassen von Gegenständen definiert, welche die definierte Entität selbst einschließen. Mit Russells Worten: «Wenn ich sage ‹Napoleon hatte alle Eigenschaften, die einen großen General ausmachen›, muss ich Eigenschaften» so definieren, dass dies nicht diesen Satz wieder enthält. D.h. ‹alle Eigenschaften zu besitzen, die einen großen General ausmachen› darf nicht selbst eine Eigenschaft in dem vermuteten Sinn sein.»
Abbildung 49
Abbildung 50
Um das Paradoxon aus der Welt zu schaffen, führte Russell eine
Typentheorie
ein, nach der eine Klasse (oder Menge) stets zu einer logischen Gesamtheit gehört, die über derjenigen steht, die die Elemente bilden, welche sie selbst umschließt. Angenommen zum Beispiel, die einzelnen Spieler des Footballteams Dallas Cowboys gehörten zu einer Menge vom Typ 0. Die Mannschaft Dallas Cowboys hingegen, als eine Gruppe von Spielern, gehörte demnach zu einer Menge vom Typ 1. Die National Football League, eine Klasse von Mannschaften also, wäre Typ 2, eine Gruppe von Ligen (wenn es sie gäbe) Typ 3 und so weiter. In diesem Konstrukt ist die Feststellung «eine Klasse, die sich selbst enthält» weder richtig noch falsch, sondern schlicht bedeutungslos. Folglich kann es zu Paradoxa von der Art, wie Russell sie formuliert hat, nicht kommen.
Es steht außer Frage, dass die
Principia
eine monumentale Leistung auf dem Gebiet der Logik darstellten, doch ließen sie sich kaum als das so lange ersehnte Fundament der Mathematik betrachten. Russells Typentheorie wurde von vielen als eine mehr oder minder artifizielle Lösung für das Problem der Paradoxa betrachtet – eine Lösung noch dazu, die Folgen von erschütternder Tragweite hatte. So bildeten darin die rationalen Zahlen (einfache Brüche zum Beispiel) eine Menge von einem höheren Typ als die natürlichen Zahlen. Um einige dieser Komplikationen zu beseitigen, führten Russell und Whitehead ein weiteres Axiom ein, das Reduzibilitätsaxiom, das jedoch seinerseits für schwere Kontroversen und eine Menge Argwohn sorgte.
Elegantere Wege zur Eliminierung der Paradoxa wurden schließlich von den Mathematikern Ernst Zermelo und Abraham Fraenkel aufgezeigt. Sie brachten es tatsächlich fertig, die Mengentheorie widerspruchsfrei zu axiomatisieren und auf dieser Basis einen Großteil der mengentheoretischen Ergebnisse darzustellen. Das schien, zumindest oberflächlich betrachtet, die teilweise Erfüllung der Träume eines jeden Platonikers zu sein. Wenn Mengentheorie und Logik wahrhaftig zwei Seiten einer Medaille bildeten, dann bedeutete ein solides Fundament für die Mengentheorie auch ein solides Fundament für die Logik. Und wenn sich darüber hinaus ein Großteil der Mathematik in der Tat der Logik verdankte, dann verlieh dies der Mathematik eine gewisse objektive Gewissheit, aus der sich vielleicht auch die unbegreifliche Erklärungsmacht der Mathematik erklären ließ. Leider konnten die Platoniker nicht allzu lange feiern, denn schon wurden sie von einem besonders üblen Fall von Déjà-vu heimgesucht.
Die nichteuklidische Krise – das Ganze von vorn?
Im Jahr 1908 verfolgte der deutsche Mathematiker Ernst Zermelo (1871–1953) einen sehr ähnlichen Weg, wie ihn seinerzeit Euklid um 300 v. Chr. beschritten hatte. Euklid hatte einige wenige unbewiesene, aber mutmaßlich selbstverständliche Postulate über Punkte und Strecken formuliert und dann
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