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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Grundlagen seines Baues erschüttert wird. In diese Lage wurde ich durch einen Brief des Herrn Bertrand Russell versetzt, als der Druck (…) sich seinem Ende näherte.» An Russell selbst schrieb er liebenswürdig: «Ihre Entdeckung des Widerspruchs hat mich auf’s Höchste überrascht und, fast möchte ich sagen, bestürzt, weil dadurch der Grund, auf dem ich die Arithmetik aufzubauen gedachte, ins Wanken geräth.»

    Abbildung 48
    Die Tatsache, dass ein einzelnes Paradoxon so verheerende Auswirkungen auf ein ganzes Forschungsvorhaben zeitigen konnte, mag zunächst verwunderlich erscheinen, aber wie der Logiker W. V. O. Quine von der Harvard University einst bemerkte: «Mehr als einmalin der Geschichte ist die Entdeckung eines Paradoxons zum Anlass für einen tiefgreifenden Umbau an den Grundfesten des Denkens geworden.» Russells Paradoxon – die Russell’sche Antinomie – schuf ebendiese Art von Anlass.
Die Russell’sche Antinomie
    Der Mann, der gewissermaßen im Alleingang die Mengenlehre begründet hat, war der deutsche Mathematiker Georg Cantor. Es zeigte sich, dass Mengen oder Klassen in derart fundamentaler Weise mit der Logik verflochten sind, dass jeglicher Versuch, die Mathematik auf das Fundament der Logik zu gründen, notwendigerweise beinhaltete, dass man sie auf das logische Fundament der Mengenlehre gründete.
    Eine Klasse oder eine Menge ist zunächst einfach nur eine Gruppe von Dingen oder sonstigen Gegebenheiten. Diese Gegenstände müssen nicht in irgendeiner Weise miteinander verwandt sein. Sie können, wenn Sie wollen, zum Beispiel eine Klasse aufmachen, die sämtliche im Jahr 2003 ausgestrahlten Soap Operas, Napoleons weißes Pferd und die Idee der wahren Liebe umfasst. Die Gegenstände, die zu einer bestimmten Klasse gehören, bezeichnet man als
Elemente
dieser Klasse.
    Die meisten Klassen von Gegenständen, die Ihnen einfallen werden, sind keine Elemente ihrer selbst. So ist zum Beispiel die Klasse aller Schneeflocken selbst keine Schneeflocke, die Klasse aller antiken Uhren selbst keine antike Uhr und so weiter. Manche Klassen aber sind in der Tat Elemente ihrer selbst. So ist zum Beispiel die Klasse «aller Elemente, die keine antiken Uhren sind», ein Element ihrer selbst, da diese Klasse definitiv nur antike Uhren ausschließt. Ganz ähnlich ist die Klasse aller Klassen Element ihrer selbst, denn sie ist ganz offensichtlich eine Klasse. Wie steht es mit der Klasse «all jener Klassen, die nicht Element ihrer selbst sind»? Lassen Sie uns diese Klasse
R
nennen. Ist
R
Element ihrer selbst (das heißt von
R)
oder nicht? Keine Frage, dass
R
nicht zu
R
gehören kann, denn wenn dem so wäre, würde dies die Definition der R-Zugehörigkeit verletzen. Wenn
R
sich jedoch selbst nicht zugehörig ist, dann muss es laut DefinitionElement von
R
sein. Ganz ähnlich wie bei der Geschichte mit dem Dorfbarbier stellen wir daher fest, dass die Klasse
R
zu
R
gehört und doch nicht zu
R
gehört, ein logischer Widerspruch. Genau dies war das Paradoxon, das Russell an Frege geschickt hatte. Da diese Antinomie das gesamte Verfahren unterminierte, durch das Klassen oder Mengen definiert werden konnten, kam sie einem tödlichen Schlag für Freges Vorgehensweise gleich. Frege unternahm zwar einige verzweifelte Anstrengungen, sein Axiomensystem zu retten, doch ohne Erfolg. Die Schlussfolgerung schien katastrophal – statt fester verankert zu stehen als die Mathematik, schien die formale Logik weit anfälliger dafür, durch logische Inkonsistenzen paralysiert zu werden.
    Zur gleichen Zeit, da Frege sein logisches Rahmenwerk formulierte, versuchte sich der Italiener Giuseppe Peano an einem etwas anderen Ansatz. Peanos Anliegen war es, die Arithmetik auf ein axiomatisches Fundament zu gründen. Folglich bestand seine Ausgangsbasis aus einem schlüssigen und sehr simplen Satz von Axiomen. Seine ersten drei Axiome lauteten beispielsweise:
    1.  Null ist eine Zahl.
    2.  Der Nachfolger einer jeden Zahl ist ebenfalls eine Zahl.
    3.  Es gibt keine zwei Zahlen, die denselben Nachfolger haben.
    Das Problem bestand darin, dass sich aus Peanos axiomatischem System zwar durchaus die bekannten Gesetze der Arithmetik herleiten ließen (so man ein paar zusätzliche Definitionen einführte), es darin jedoch nichts gab, was die natürlichen Zahlen eineindeutig beschrieb.
    Den nächsten Schritt tat Bertrand Russell. Er verkündete, dass Freges ursprüngliche Idee – die Deduktion der Arithmetik aus der Logik – noch

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