Ist Schon in Ordnung
denke, jetzt erklingt ein Ton, aber es erklingt keiner. Für Leute mit dickem Blut, denke ich. Ich schaue hoch zu Leif. Er sieht mich an.
»Er sah nicht gut aus, als er aufgebrochen ist, Audun, das muss ich sagen. Aber ich weiß nicht, was ich mit dem Blasebalg hier anfangen soll, von uns kann keiner darauf spielen. Vielleicht kannst du ihn mitnehmen? Das wäre mir recht. Dann bleibt er gewissermaßen in der Familie.«
Jetzt ist er zu weit gegangen, und er errötet so sehr, dass ich nichts sage. Ich betrachte das Akkordeon.
»Gut«, sage ich, »wir nehmen es mit«, und Arvid, der schon von dem Akkordeon gehört hat, macht den Mund auf, ertappt sich aber dabei, bevor die Worte herauskommen. Die Luft in der Küche wird still, und wir stehen da und trauen uns fast nicht zu atmen. Ich denke schnell, dann sage ich:
»Was ist eigentlich aus Rauhbein geworden, der damals hinter der Scheune angeleint war?«
»Ach, der Teufelskerl«, sagt Leif und erzählt von dem Fuchs, der Hund spielte und hinter der Scheune angeleint war, und von den Hühnern, die nicht auf ihren Eiern sitzen wollten, solange er da war. Aber alle haben den Fuchs geliebt, und keiner wollte ihn freilassen, also musste Leif die Eier in den Achselhöhlen ausbrüten, und schließlich liefen Signe und Bjørn und alle Gäste, die kamen, mit Eiern durch die Gegend, bis sie überall Muskelkater hatten. Besonders schwierig waren die Mahlzeiten, sagt Leif undführt vor, wie gesittet sie am Tisch sitzen mussten, die Arme angelegt, und wie sie das Besteck führten, wie die piekfeinen Leute.
»Am Ende hatten wir bessere Tischmanieren als Ludwig XIV. «, sagt Leif, und Arvid lacht, und Ingrid summt an der Arbeitsplatte vor sich hin, und als wir gehen, packe ich den Griff des Koffers und verspreche, bald wiederzukommen, jetzt, wo ich Auto fahren kann.
Wir legen das Akkordeon auf den Rücksitz und fahren vom Hof. Hinter dem Schlagloch sagt Arvid:
»Warum hast du das Akkordeon mitgenommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du kannst doch gar nicht darauf spielen.«
»Ich weiß es nicht, sage ich doch!«
»Ich glaube nicht, dass deine Mutter so begeistert sein wird, und wo du jetzt weißt, dass er in der Nähe ist. Glaubst du plötzlich an das Schicksal oder was?«
»Ich sage doch, dass ich es nicht weiß, verdammt noch mal! Könntest du jetzt Ruhe geben!« Ich verlasse die Zufahrtsstraße, nehme die Kurve zu eng und ramme einen Zaunpfahl an der Straße. Er schrappt an der Tür entlang, und ich gehe sofort auf die Bremse. Wir sitzen beide da und rühren uns nicht, Arvid ist weiß im Gesicht.
»Scheiße, Mann, tut mir leid«, sage ich.
»Es war meine Schuld. Ich hätte besser die Klappe gehalten.«
Wir machen die Türen auf, Leifs Haus liegt auf der gegenüberliegenden Seite, aber sollte jemand am Fenster stehen, kann ich es von hier nicht sehen. Die Tür sieht nicht so schlimm aus, wie es sich angehört hat, aber der Lack hat einen gehörigen Kratzer abbekommen. Zum Glück keine Delle. Arvid fährt mit der Hand über die Tür.
»Das wird nicht billig, die ganze Tür muss neu lackiert werden.«
»Das schaffe ich schon, ich schmeiße sowieso hin«, sage ich.
»Was schmeißt du hin?«
»Das Gymnasium.«
»Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe, du hast ja nicht mal mehr ein Jahr vor dir. Wolltest du nicht Schriftsteller werden?«
»Man wird ja wohl nicht Schriftsteller, indem man aufs Gymnasium geht! Hat Jack London ein Gymnasium besucht? War Gorki auf einem Gymnasium? Oder Lo-Johansson oder Nexø oder Sandemose oder wer sonst noch lesenswert ist?«
»Aber Audun, das ist doch hundert Jahre her! Damals ging keiner aufs Gymnasium! Heute gehen alle!«
»Ich nicht, ich fange an zu arbeiten.«
Arvid setzt sich in den Straßengraben, dreht mir den Rücken zu und fängt an, Steine auf das Feld zu werfen, zuerst kleine, dann immer größere, und er steht auf und packt einen riesigen Stein und wirft ihn mit beiden Händen so weit er kann und schreit:
» VERDAMMT !« Er dreht sich um. »Was passiert jetzt?«, fragt er.
»Nichts, ich schmeiße doch nur die Schule hin.«
»Das ist ja nicht gerade wenig«, sagt er, »das weißt du genau.«
6
E gil war zwei Jahre jünger als ich, und ich meine mich an seine Geburt zu erinnern, aber es ist möglich, dass ich alles mit Geschichten vermische, die Kari erzählt hat.
Eine Geschichte geht so:
Kari und ich sind allein zu Hause. Sie ist sechs und soll auf mich aufpassen. Meine Mutter und mein Vater sind weg. Sie
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