Ist Schon in Ordnung
reden. Papa.«
Was für ein Wort! Aber es gibt kein anderes.
»Er stand dort oben auf dem Berg.« Ich zeige auf den Fußweg, der vom Trondhjemsveien zur U-Bahn-Brücke hinunterführt. »Der Mann im schwarzen Anzug. Der Mann mit der glänzenden Pistole. Ob er sie wohl noch hat? Vielleicht lag sie in seinem Rucksack. Der Rucksack war zumindest noch derselbe.«
»Du machst Witze! Bist du sicher?« Kari packt mich fest am Arm und geht etwas schneller, so dass der Abstand zu ihr hinter uns größer wird.
»Klar bin ich sicher. Meinst du, ich hätte vergessen, wie er aussieht?«
»Hast du es ihr erzählt?« Kari versucht, sich nicht umzudrehen, schafft es aber nicht ganz.
»Was sollte das bringen? Ich will nicht noch mal umziehen. Jedenfalls nicht jetzt. Ich habe überhaupt keine Angst vor ihm.«
»Nicht?« Sie sieht mich an, und ich weiß genauso gut wie sie, dass ich eine Heidenangst vor ihm habe. Er ist das Einzige, wovor ich wirklich Angst habe. Alles andere ist Kinderkram dagegen.
»Ich bringe ihn um«, sage ich.
»Still, sag so was nicht. Aber was will er bloß? Was meinst du, was er will? Wir müssen uns was überlegen, und ausgerechnet heute Abend muss ich mit dem Bus nach Hause fahren.«
»Zu deinem Lackierexperten?«
Sie errötet. »Kümmere dich um deinen eigenen Kram!«
»Da gibt es nichts zu überlegen. Wir können nur abwarten, was passiert.«
Wir bleiben stehen und warten, bis meine Mutter uns eingeholt hat, dann können wir den Grevlingveien als eine Familie hinuntergehen. Sie heult nicht mehr, und Kari hakt sich bei ihr unter, sie lächelt uns zu.
Meine Mutter ist klein und blond, ganz schlank, und wenn man nicht zu dicht vor ihr steht und die Linien um die Augen und den Mund sieht, ist dreiundvierzig nicht das erste, was einem in den Sinn kommt. Kann sein, dass sie hübsch ist, ich weiß es nicht, es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Auf dem Land habe ich einmal gesehen, wie sich auf der Straße ein Mann nach ihr umgedreht hat, aber vielleicht war auch nur ihr Lippenstift verschmiert, oder sie hatte an dem Tag ein blaues Auge. Das hatte sie manchmal. Ich auch. Wenn mein Vater lange genug am Stück zu Hause war, hatten wir alle eins.
Sie hat sich immer Locken gewünscht, aber ihre Haare waren so glatt wie ein Wasserfall, genau wie meine, und wenn ich mich so umsehe, kommt es mir vor, als hätten blonde Menschen weniger Locken als dunkelhaarige. Sie hat jedenfalls sowohl Papilotten als auch Lockenwickler ausprobiert, und einmal hat sie Geld gespart, um sich eine Dauerwelle zu gönnen. Als sie nach Hause kam, stand sie heulend vorm Spiegel, weil die Locken dicht und fest waren und nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte, wovon sie geträumt hatte, und wenn ich ehrlich sein soll, sah sie damit ziemlich schrecklich aus. Fast eine Stunde lang stand sie über dem Waschbecken und versuchte, sie wieder glatt zu kriegen, und sie ging tagelang nicht aus dem Haus. Das Geld war jedenfalls futsch. Heute macht sie es so, dass sie auf dem Ofen einen Kaffeekessel mit Wasser aufsetzt, und wenn dasWasser kocht, lässt sie die Haare über den Dampf hängen, der aus der Tülle kommt, und dann wellen sich die Spitzen und verleihen ihr das, was sie einen natürlichen Fall nennt.
Nach unserem Umzug hat sie nur einen einzigen guten Freund gefunden. Er heißt Robert, nennt sich aber Roberto und hatte in unserem ersten schweren Jahr in Veitvet ein Zimmer bei uns gemietet. Jetzt wohnt er in einer schicken Einzimmerwohnung in Majorstua. Er fährt einen weißen MG Cabrio, ist Opernfan und schwul. Es scheint ihn nicht sehr zu stören, und mich stört es auch nicht. Er kneift mich manchmal in den Po, aber nur zum Spaß, um zu zeigen, dass er weiß, dass ich weiß, dass er mich eigentlich nicht in den Po kneift. Oder so ähnlich.
Jeden Mittwochnachmittag fährt Roberto von Majorstua nach Veitvet, um zusammen mit meiner Mutter Opernarien zu hören. Das weiße Auto schwebt mit offenem Dach den Beverveien herunter, biegt um die Kurve, und Roberto winkt den Jungen am Straßenrand zu, und die Jungen winken zurück, und es sieht nicht so aus, als würde es jemanden stören, dass er schwul ist. Aber vielleicht irre ich mich auch.
Als wir in unserem Haus die Treppe zum Gefängnisbalkon hinaufgehen, steht er mit Blumen und einer Plastiktüte in der Hand vor der Tür, obwohl es erst zwei Tage her ist, seit er zuletzt hier war, und ich denke, vielleicht sind Schwule so, dass sie an so was denken, wie Mädchen. Jedenfalls
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