Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
als die alten, die dich in die Sackgasse geführt haben.
Gespräche sind wichtig auf diesem Weg. Aber nicht irgendwelche Unterhaltungen – obwohl auch die guttun können, wenn sie eine gemeinsame entspannte Atmosphäre schaffen –, sondern Gespräche, in denen ihr euch miteinander beschäftigt.
Als Gesprächsthema schlage ich vor: Wie sehen wir als Paar aus? Was für eine Gestalt geben wir nach außen ab? Wirken wir harmonisch, passend, oder gibt es etwas, das nach außen negativ auffällt, das andere Leute erst einmal stutzen lässt?
Es ist oft sehr befreiend, über diese Frage offen und unvoreingenommen zu philosophieren. Ja, es sollte ruhig in diesem Philosophierton sein, der den Differenzen eine möglicherweise beängstigende Schärfe nimmt. Nur wenige Paare entsprechen nämlich dem Ideal: gleich schön, gleich gebildet, gleich alt, gleich sozialisiert. Viele Paare schweigen über diese Differenzen hinweg, trotzig zu zweit gegen den Rest der Welt. Nur leider macht es in der Regel zumindest einem von beiden etwas aus. Und wie alles, was man unter den Teppich kehrt, wird das, was am Anfang vielleicht nur ein winziges Stück Unrat war, im Laufe der Zeit zu etwas Verschimmeltem, das die Luft verpestet. Der Kraftaufwand, es zu ignorieren, steht in einem absurden Missverhältnis zum Anpacken und Fortschaffen. Ich kenne viele Paare, die still unter einer wie auch immer gearteten äußeren Disharmonie leiden.
Kommen wir noch einmal auf die Müllers zurück. Herr Müller arbeitet nicht nur viel, er macht auch viel Sport. Ist ein gepflegt gekleideter, schlanker, vitaler Sechzigjähriger, der sexuell interessiert und aktiv ist. Seine Frau ist in die Breite gegangen, richtig dick geworden. Seit er sie betrogen hat, kränkelt sie auch, kann nicht mehr gut laufen, ihr Körper ist ihr unangenehm.
Sie sind seit mindestens fünf Jahren in der Krise. Das war der Zeitpunkt, als sie von der Liaison mit der sehr viel jüngeren Frau erfahren hat. Statt sich zu diesem Zeitpunkt hinzusetzen und zu fragen: Was für ein Paar sind wir eigentlich (geworden)?, statt sich mit dem Unterschied an Attraktivität, Vitalität und Erotik auseinanderzusetzen, hat sie sich mit den Kindern gegen ihn verbündet, äußert sich verächtlich über seine Eitelkeit, seine Gefallsucht, tätigt Frustkäufe, isst Süßigkeiten und lässt Botox spritzen. Er kompensiert seinen sexuellen Frust mit exzessivem Fahrradfahren.
Zu mir kamen sie fünf Jahre später, als er die nächste Nebenbeziehung hatte. Trotzdem wollte er zu seiner Frau zurück, mit der er vierzig Jahre lang »eine wundervolle Beziehung« hatte, wie er sagte. Hätten sie sich nur vorher eingestanden, dass vieles gar nicht so wundervoll war!
Ein anderes Paar kam zu mir wegen des permanenten Rückzugs des Mannes, wenn es Probleme gab. Marianne wollte sich trennen, sie wollte keine Beziehung mehr, in der sie im Konfliktfall im Regen stehen gelassen wurde. Ihre Konflikte waren nie ausgetragen und bewältigt worden, sondern nach einiger Zeit, in der er schwieg, wurde die Beziehung wiederaufgenommen, wo sie abgebrochen war. Beide liebten einander ganz offensichtlich. Gert war auf seine Frau bezogen, fürsorglich, liebevoll. Sie hatten in den Zeiten, in denen er sich nicht zurückzog, eine erfüllende und befriedigende Sexualität, allerdings sagte sie, dass sie sich nicht mehr wirklich hingebe, weil sie unter den schrecklichen Zeiten seines Liebesentzugs litt »wie Sau«. Das ist Folter, sagte sie. Das
ist schlimmer als geschlagen werden. So hatte sich ein unendlicher Berg von im Grunde kleinen Konflikten zu einer kaum mehr zu überwindenden Mauer zwischen den beiden angehäuft.
Bei diesem Paar war die Frage: Was für ein Paar seid ihr eigentlich?, sehr aufschlussreich. Die Frau war nämlich promovierte erfolgreiche Ärztin, der Mann Tischler, der zwar viele technische wie künstlerische Begabungen hatte, aber beruflich im Vergleich zu ihr wenig gesellschaftliche Anerkennung erfuhr. Marianne sah keine Notwendigkeit, über diesen Punkt zu sprechen. Für sie war Gert klug, kreativ, interessant, gebildet. Sie empfand es als diskriminierend und reaktionär, die unterschiedliche Bildung und berufliche Qualifikation überhaupt zu thematisieren.
Für Gert allerdings öffnete sich mit dieser Frage eine Tür. Endlich konnte er darüber reden, dass er sich Marianne in Konfliktgesprächen völlig unterlegen fühlte. Endlich konnte er darüber reden, dass er sich zwar unendlich viel Mühe gab, sie
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