Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
Rider, dort hörte er ganz andere Musik. Dort war er glücklich.
Svenja arbeitete, als sie einander kennenlernten, als Journalistin
im Feuilleton. Sie ist eine sensible Frau mit viel Tiefe. In ihrer Jugend fühlte sie sich immer hässlich neben ihrer schönen Mutter, die beliebt und begehrt war, bis ins Alter jede Menge Verehrer hatte. Svenja war ein höheres Töchterchen, die die Oberflächlichkeit höherer Töchter gleichzeitig verachtete.
Daniel hat ihre Tiefe, Intensität, Verletzlichkeit gesucht. Sie hat seine Zuverlässigkeit, Fröhlichkeit und Durchsetzungskraft gesucht. Die Krise begann früh: Sie war von ihm sexuell enttäuscht. Er bekam schnell einen Orgasmus, schlief dann ein, ließ sie unbefriedigt, wach, allein. Er bekam ihren Frust gar nicht mit. Trotzdem gab es Heirat, Kinder, Haus, Familie, Verpflichtungen. Nach außen wirkte es sogar schön. Aber als sie zu mir kamen, war er ein blonder Sunnyboy und sie eine verhärmte knochig gehungerte Frau. Als sie mir Fotos von ihrer Hochzeit vor zehn Jahren zeigten, war ich entsetzt: Da war eine schöne strahlende Frau mit Brüsten und einem weichen zärtlichen Lächeln zu sehen. Was war bloß geschehen?
Das, was sie einmal aneinander angezogen hatte, stieß sie nun ab: Sie ging nicht auf Partys mit, weil sie Smalltalk hasste. Sie las abends im Bett Bücher, war an Sex mit ihm nicht mehr interessiert. Aber sie wollte auch nicht wieder arbeiten gehen, es stellte sich heraus, dass sie die Tätigkeit in einer Zeitungsredaktion immer schon entsetzlich stressig gefunden hatte. Sie blieb zu Hause bei den zwei Söhnen, die sie hingebungsvoll und aufgrund unermüdlicher Lektüre über Kindererziehung, Ernährung, Sport und Spaß für Kinder erzog.
Er wurde immer oberflächlicher. Auf Partys riss er machomäßig frauenfeindliche Witze. Er unternahm mit seinen Söhnen demonstrativ unpädagogische Dinge, guckte im Fernsehen Fußball mit ihnen, kutschierte sie den kurzen Weg zur Eisdiele mit dem Auto, und wenn er mit ihnen Fahrrad fuhr, dann ohne Helm und viel zu schnell. Vor allem stritten sie über Kindererziehung.
Nun könnte man natürlich sagen, dass dieses Paar so ungleich sei, dass sie sich am besten trennen sollten. Dass sie mit einem feinsinnigen Denker glücklich würde und er mit einer zehn Jahre Jüngeren noch einmal romantisch und frei Motorrad fahren könnte. Die würde ihn vielleicht anhimmeln und wegen seines mangelnden sexuellen Repertoires nicht kritisieren. Sie hatten einander aber gewählt, weil beide etwas suchten, was der andere hatte. Er hatte sich von ihrer Tiefe angezogen gefühlt. Sie hatte sich von seiner männlich rebellischen Durchsetzungskraft angezogen gefühlt. Genau das fanden beide aber nun entsetzlich abstoßend.
Back to the roots, dachte ich mir. Die Anziehung des Anfangs wird schon einen Sinn gehabt haben: zurück zum Punkt der Verliebung. Zurück zum Punkt der Enttäuschung.
Ich gab ihnen als Hausaufgabe, sich mit folgenden Fragen zu beschäftigen:
•
Was hat mich an dir angezogen?
•
Wo ist es jetzt?
•
Was ist an die Stelle getreten?
Das war eine harte Aufgabe, denn sie machte beide traurig. Und das war gut so, denn sie hatten viel verloren, und sie hatten beide dem andern und auch sich selbst einiges angetan. Es war angemessen zu trauern.
Daniel hatte sich in eine vollbusige, weibliche Frau verliebt, die strahlte und lachte – jetzt war sie knochig, hager und alles andere als anschmiegsam. Mit ihren Söhnen zeigte sie ihm, dass sie sogar ein besserer Vater war als er. Sie tobte mit ihnen, sie spielte mit ihnen Fußball, sie gab die Orientierung.
Svenja hatte sich in einen zuverlässigen, unbeschwerten, charmanten Mann verliebt, jetzt aber hatte sie einen, der sie als Frau nicht respektierte und unbefriedigt ließ. Svenja trauerte über den Verlust ihrer Sinnlichkeit, ihrer Weiblichkeit, ihrer Verführbarkeit.
Und auch Daniel: Er konfrontierte sich mit seiner hohlen Schablone von Mann. Die Anziehung durch ihre Tiefe war
im Grunde seine Sehnsucht nach seiner eigenen Tiefe gewesen. Ohne die konnte er nicht wirklich Mann werden, Vater, Liebhaber. Er suchte nach der Tiefe, die hinter seiner Hohlheit und glatten Fassade verborgen lag. Er stellte sich seiner Aggression, seinem Rebellentum. Er beendete sein Fluchtverhalten, wurde als Vater und als Sexualpartner aktiv.
Beide mussten die eigene Identität erst mal finden. Er musste an seiner emotionalen Tiefe arbeiten. Sie musste daran arbeiten, ihre Bedürfnisse
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