Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
Lippen hingen.
Die meisten Männer scheuten vor ihr zurück. Ihre dominante Art, ihre männliche Herbheit, die sie durch extrem weibliche Kleidung und extravaganten Schmuck auszugleichen versuchte, ihre Schroffheit, wenn ihr widersprochen wurde, stießen die meisten Männer ab. Sie war mit einer Aura von Unnahbarkeit und Macht umgeben. Genau das zog Daniel an. Diese Frau zu besitzen erregte ihn ungemein. Er fühlte seine männliche Macht bestätigt, wenn er diese mächtige Frau penetrierte.
Sie kannte dieses Begehrtwerden nicht und fand das wiederum sehr aufregend. Es verlieh ihr eine große Macht über Daniel. Sie sorgte dafür, dass diese Macht immer wieder bestätigt wurde. Sie wusste, wie sie ihn kleinkriegen konnte. Und sie praktizierte es. Manchmal machte sie sich einen oder auf Geschäftsreisen mehrere Tage lang für ihn unerreichbar. Er litt entsetzlich darunter, wenn er nur die Mailbox erreichte. Dann fühlte er sich völlig ohnmächtig. Was er auch war. Und was er auch sein sollte.
Ulrike sorgte dafür, dass das Machtpendel zwischen ihnen immer häufiger zu ihren Gunsten ausschlug. Wenn ihre zwanzigjährige Tochter in ihrer Wohnung war, lebte sie mit dieser die Intimität und Nähe, nach der er so dürstete. Dann war er ausgeschlossen. Wenn er allerdings dieses Ausgeschlossensein beklagte, sagte sie, er wäre nur eifersüchtig und würde sich zwischen sie und ihre Tochter stellen.
Sie behielt die Fäden in der Hand. Wenn er ihr nahekommen durfte, erlebte er den Himmel auf Erden. Dann griff sie nach ihm, fiel über ihn her, öffnete sich, war weich und zu allem bereit, was ihn beglücken könnte. Wenn er etwas tat, was sie ärgerte, kränkte, verletzte, tobte sie wie ein Orkan. Er bekam große Angst, etwas falsch zu machen.
Sie spielte damit, ihn einerseits fernzuhalten, ihr Leben für ihn etwas undurchsichtig zu gestalten, und andererseits komplett mit ihm zu verschmelzen. Heimlich änderte sie ihr Testament und überschrieb all ihre Aktien und sonstigen Werte auf ihre Tochter. Sie verdächtigte ihn, aus niedrigen Beweggründen mit ihr zusammenzusein, zum Beispiel, weil er ihr Geld wollte. Er wusste nicht, wie er sich gegen diesen Vorwurf wehren konnte, war zwar verletzt, aber konnte ihn nicht ausräumen, kurz: Er wurde immer ohnmächtiger.
In schlimmen Zeiten zog er sich in sich selbst zurück, verstummte, schmollte wie ein kleiner Junge, verzweifelte, dachte an Selbstmord und war hochbeglückt, wenn alles wieder gut zwischen ihnen zu sein schien. Dann schlug sein Elend in ekstatisches Glück um.
Beide wollten in der Therapie über ihre Konflikte sprechen. Die Tochter. Das Geld. Über Nähe und Distanz. Das Thema, das sie mieden wie der Teufel das Weihwasser, war Macht. Dass sie eine ungesunde Beziehung zur Macht hatten, beide, wollten sie auf keinen Fall wahrhaben. Und worüber sie auch nicht bereit waren zu sprechen, war ihre »wundervolle Sexualität«. Dass bei ihnen Sexualität ein Ausdruck, ein Symptom, ihres Spiels mit Macht und Ohnmacht war, wollten sie auf keinen Fall hören.
Es ist, glaube ich, inzwischen völlig klargeworden, dass es keine Beziehung gibt, in der keine Machtkämpfe ausgetragen werden. Es gibt auch keine sexuelle Beziehung, in der die Macht über den andern nicht auch eine erregende Wirkung hat. Aber genau wegen der Macht, die wir über einen geliebten Menschen haben, ist es so wichtig, den Missbrauch zu erkennen, zu benennen und zu stoppen!
Liebe dich selbst! Es ist egal, welchen Partner du dann hast!, ist in diesem Fall ein Irrweg.
In der Beziehung von Daniel und Ulrike eskalierte es dramatisch. Ulrike drängte Daniel immer weiter aus ihrem Leben und ließ ihn immer stärker fühlen, dass er ein schwacher
Partner war. Ihre sexuellen Begegnungen wurden immer obsessiver, dort erkannte sie seine Potenz an und zeigte sich geradezu süchtig nach ihr. Er wurde im wahrsten Sinne des Wortes verrückt. Verrückt nach ihr, verrückt von ihr. Gleichzeitig schien beiden diese
amour fou
immer noch fast literarisch wertvoll. Irgendetwas daran erhöhte beide.
Komplett ohnmächtig rastete er irgendwann aus. Stellte sie in der Küche wie ein wildes Tier seine Beute. Er versperrte ihr den Weg und schlug zu. Sie floh zu einer Nachbarin. Ging zum Arzt, der ihre blauen Flecken bezeugte. Wollte sich trennen. Nun hatte sie Daniel endgültig in ihrer Hand: Er hatte Angst davor, sie zu verlieren. Er hatte Schuld auf sich geladen. Er war ein schwacher Mann und ein Schläger. Daniel weinte, war
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