Istanbul: Ein historischer Stadtführer
einem Brunnen, einem Abort und einem eingefriedeten Gärtchen. Es liegt im Quartier X und grenzt an die Grundstücke des Y und des Z sowie an den öffentlichen Weg (
tarîk-i âmm
) und den Privatweg (
tarîk-i hâss
).
Wegen der Kleinteiligkeit des Straßenrasters und des Fehlens von amtlichen Straßennamen spielten andere Örtlichkeiten für die Orientierung eine wichtigere Rolle als Wege. An erster Stelle sind es die großen Freitagsmoscheen, aber auch Wirtschaftsbauten und Bäder. Schon im 16. Jahrhundert gehörten die heute wichtigen Verkehrsknotenpunkte Aksaray und Unkapanı zu den bekanntesten städtischen Fixpunkten. Planmäßig angelegte Plätze fehlten im Stadtbild, wenn man vom römischen Hippodrom (dem heutigen Sultan Ahmed-Platz) absieht. Aus der römisch-byzantinischen Erbmasse stammten auch Freiflächen wie der Kadırga Limanı, der als Gebetsplatz genutzt wurde, und die großen Zisternen.
Einen gewissen Ersatz für die weithin fehlenden Plätze bildeten die äußeren und inneren Höfe der Hauptmoscheen. Sie stellen große Freiflächen dar, deren geometrische (aber mit Ausnahme der Fâtih Stiftung) nicht axiale Anlage sich deutlich von dem gewachsenen Straßennetz abhob. Städtebauliche Konzepte des 19. Jahrhunderts, insbesondere von französischen Architekten, blieben «eher akademische Idealentwürfe als tatsächlich realisierbare Konzepte». Erst in nachosmanischer Zeit wurden übergreifende städtebauliche Vorhaben (Atatürk Bulvarı, Sahil Yolu, Tarlabaşı Bulvarı) verwirklicht.
Der Straßenbelag bestand an vielen Stellen aus solidem Pflaster, für das die Zunft der
Kaldırımcıs
zuständig war. Viele von ihnen waren im thrakischen Silivri zu Hause. Im 19. Jahrhundert waren Albaner die typischen Pflasterer, so dass man z.T. bis heute von einem «albanischen Pflaster» spricht, wenn man die grob behauenen Steine meint, die namentlich an den abschüssigen Straßen der Stadt verlegt sind. Die
Kaldırımcıs
ließen sich nach Quadratfuß bezahlen. Evliyâ setzte ihre Zahl mit 800 Mann an. Bei der Beschreibung des Zunftaufzuges von 1638 mokiert er sich über ihren Dialekt: «Die albanischen Pflasterer ziehen vorbei mit Schaufeln in der Hand und eisernen Hebestangen, sie bringen die Pflaster in Ordnung. In ihrem Elbasan-Albanisch singen sie einen Vierzeiler.»
Ein eindeutiger Beleg für die Versuche der Behörde, die «boomtown» in Ordnung zu halten, ist ein Befehlsschreiben an den Kadi von Istanbul und den Obersten Baumeister aus dem Jahr 1576:
Als der Pflasterbelag der Hauptstraßen Istanbuls ausgebessert wurde, hat man nicht benötigten Abfall, Steine und Erde, auf den Straßen liegen lassen, was zu einem großen Ärgernis für die Passanten wurde. Auch haben einige Personen am Fuß der Mauern der Istanbuler Befestigungen (also der Seemauern, wahrscheinlich entlang des Goldenen Horns) das Meer aufgefüllt und (Wasser)Leitungen zugeschüttet, so daß die Rohre, durch die das Wasser seit jeher fließt, nicht mehr funktionieren bzw. die Wasserleitungen verstopfen und ihre Richtung verändern. (Andere) haben Zäune aufgestellt und die Straßen (auf diese Weise) enger gemacht. Und einige haben Bauwerke, die auf den Pflasterbelag reichen, errichtet. Einige haben auf der Straße Verkaufsstände aufgeschlagen und damit den Weg eingeengt. Die Moscheediener vernachlässigen die Sauberkeit der Moscheehöfe und ihrer Umgebung. Sie errichten in der Nähe Verkaufsläden und halten sie nicht durch das Ausstreuen von Sand reinlich. Während die Beauftragten (früher) regelmäßig den Etmeydanı (beim Hauptquartier der Janitscharen) und den Hof der Moschee Sultan Bâyezîds fegten, gebrauchen sie jetzt (faule) Ausreden.
Nach Darlegung dieser langen Liste von Missständen wird der Kadi aufgefordert, zusammen mit dem Obersten Baumeister
(mimârbaşı)
unverzüglich dagegen einzuschreiten. Man kann dieses Befehlsschreiben nicht nur als ein Dokument für die Anstrengung der Obrigkeit nehmen, «die Stadt nach altem Brauch und Gesetz sauberzuhalten» (wie es weiter unten im selben Text heißt), es ist zugleich ein Beleg für das kräftige Bevölkerungswachstum im späten 16. Jahrhundert. Zumindest in einigen Stadtteilen war Grund und Boden kostbar geworden.
Anders als im Alten Rom bedurfte es in Istanbul keiner Verbote und Ausnahmeregelungen für die Benutzung von Wagen. Die Stadt wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein von Fußgängern, Reit- und Tragtieren beherrscht. Mitte des Jahrhunderts folgten erhebliche
Weitere Kostenlose Bücher