Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Dekorationsformen bestimmten die
Konaks
der Oberschicht im 19. Jahrhundert. Gut erhaltene bzw. restaurierte Beispiele sind die Stadthäuser des Kayserili Ahmed Pascha (ca. 1873, in der gleichnamigen Straße in Süleymaniye) bzw. des Großwesirs Hüseyin Hilmî Pascha (gest. 1922) in Şişli. Neben dem Redaktionsgebäude des republikanischen Traditionsblattes
Cumhuriyet
steht das einstige Clubgebäude des jungtürkischen Komitees für Einheit und Fortschritt. Besonders viele unversehrte Konaks des
Fin de Siècle
kann man auf den Prinzeninseln bewundern.
Von den ausgedehnten Palästen der Wesire und anderer Würdenträger hat sich so gut wie keiner erhalten. Die Überreste des İbrâhîm Paşa Sarayı am Hippodrom bilden eine bemerkenswerte Ausnahme. Nur noch die Namen von Stadtteilen und Straßen erinnern an Paläste wie Çağaloğlu(in der Gegend des Istanbul Lisesi), Kadırga Sarayı (südlich des Gedik Paşa Hammamı) oder Alemdar Paşa (zwischen den Serail-Mauern und der Provinzverwaltung). Selbstverständlich erklärt sich die Häufung von großen Stadtpalästen mit der Nähe zum Serail des Sultans.
Das Thema Wohnraum als Statussymbol beschäftigte Mustafâ Âlî in seinem «Handbuch für den guten Ton» aus dem Jahr 1587. Er teilte hier die osmanische besoldete Elite in fünf Gruppen auf: Hofchargen, Soldaten, Bürokaten, Richter und Stiftungsbeamte. Außerdem unterschied er vier Ränge, wobei nicht nur das Einkommen, sondern der angemessene Wohnraum von Bedeutung war: Âlî gestand den Sultansdienern ein bis fünf Räume zu, wobei der private Bereich (Harem mit Räumen für das dazugehörige Personal) nicht gezählt wurde.
Bei der höchsten Klasse, zu der sich der Autor als
Defterdâr
(Finanzdirektor in der Provinzverwaltung) selbst rechnete, sah die angemessene Nutzung der fünf Räume so aus: 1. Empfangshalle (
dîvânhâne
), 2. Gästezimmer, 3. Privatkabinett, 4. Raum für die Leibdiener, 5. Raum für die Leibwache und die Anwärter für den Hof- oder Militärdienst (
acemî oğlanlar
). Wie gesagt sind die Haremsräume und der gesamte «Servicebereich» in dieser Aufzählung nicht enthalten. Zur Spitzengruppe zählt Mustafâ Âlî die Inhaber einer Großprovinz (
beylerbeyi
) und die obersten Ulemâ (Scheichülislâm, Kadiasker, Richter von Istanbul); Befehlshabern und Medrese-Professoren der oberen Gehaltsgruppe gesteht Âlî drei Räume zu. Am Boden der Pyramide mit einem Raum sind einfache Krieger, Janitscharen und Studenten.
Der Autor versäumte nicht, darauf hinzuweisen, dass entsprechende Abstufungen auch für das Gezelt auf Kriegszügen anzuwenden seien. Worauf es ankomme, sei das rechte Maß, weder unangemessener Prunk noch falsche Bescheidenheit seien erwünscht oder gefordert. Allein die Großwesire seien als höchstrangige Sultansdiener (eigentlich
kul
, was «Sklave» bedeutet) keiner Einschränkung unterworfen, schließlich beanspruche allein ihr Gefolge den Platz mehrerer Stadtviertel.
Das Serail Mehmed Sokullu Paschas: Ein Palast neben dem Palast
Mustafâ Âlîs Bemerkungen über den schier grenzenlosen Prunk der Großwesire lassen sich in sehr erwünschter Form belegen. Das vom «Reichsbaumeister» Sinân geplante Serail des mächtigen Sokullu Mehmed Pascha (Großwesir 1565–1579) nahm den Raum unterhalb des Markts
(ârasta)
der späteren Sultan Ahmed-Moschee ein. Heute ist hier ein Touristenbasar und der Eingang zum sogenannten Mosaikenmuseum. Da Sokullus Sohn sein Erbe vor dem Verkauf an Sultan Ahmed I. im Jahr 1608 gerichtlich registrieren ließ, kennen wir die Räumlichkeiten. Die Liste soll hier folgen, weil sie ein einmaliges Zeugnis dafür ist, dass die Paläste der mächtigen Wesire der sultanischen Hofhaltung recht nahekamen. Ein Jahr nach dem Verkauf, am 9. November 1609, wurde der erste Spatenstich zur viel später so genannten «Blauen Moschee» gelegt.
Der Leser muss sich mit der Beschreibung der «innere Einfriedung» genannten Privaträume, also des Haremteils, begnügen. Von den Appartements der Frauen ist zwar erwartungsgemäß nicht die Rede, doch schließt der Hinweis auf die Eunuchen alle Zweifel über die Nutzung des inneren Hofs aus. Während das Verzeichnis alle mit dem Bau verbundenen Kostbarkeiten erwähnt, wird von der Inneneinrichtung, die wohl im Besitz des Sohnes geblieben war, nicht gesprochen. Auffällig sind die Hinweise auf Zierbrunnen, Bäder und Wasserleitungen aller Art.
Im Inneren neben dem Sultan Kapusu ein Raum für die Hellebardiere – ein
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