Italien zum Verlieben (German Edition)
wusste, dass Lisa nun wirklich nicht die Kraft
hatte, sich auch noch um sie Sorgen zu machen. "Ja, bestimmt. Es
wird schon gehen."
Als Sebastian sie am Freitag anrief, hatte sie ihn,
nachdem sie ihm die Sache kurz berichtet hatte, gebeten, sie für
ein paar Tage allein zu lassen. Zum Glück hatte er sofort
verstanden, dass sie das Ganze erst einmal für sich allein
verdauen musste und nicht weiter gebohrt.
Am Montag nach der Beerdigung saß Anna abends
allein in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden mit einer leeren
Umzugsschachtel und öffnete die unterste große Schublade
ihres Wohnzimmerschranks. Sie begann, alte Brett- und Kartenspiele
aus ihrer Kindheit in den Karton zu stapeln, denen man ihren
jahrelangen Gebrauch deutlich ansehen konnte. Die Karten waren
vergilbt und zum Teil geknickt, die Schachteln der Brettspiele an den
Ecken zerfleddert. Doch nun waren Anna diese Sachen wichtiger als
jemals zuvor. Es war, als läge darin ihr ganzes, bisheriges
Leben und solange sie diese Sachen noch hatte, wäre ihre
Kindheit nicht für immer vergangen und ausgelöscht. Sie
fühlte sich seit dem Tod ihres Vaters leer und ausgelaugt. Als
ob von ihr nur noch die Hülle geblieben wäre und alle
Lebenskraft und alle Hoffnung auf Glück plötzlich
verschwunden wären. Vielleicht brauchte sie einfach einmal eine
Pause. Eine Auszeit.
Neben den Spielen fand sie noch einen alten Schuhkarton.
Ihre Fotos. Wenn sie den nun öffnen würde, müsste sie
bestimmt wieder weinen, dass wusste sie. Doch sie konnte einfach
nicht widerstehen. Diese Erinnerungen brachten ihr ihre Eltern und
die glückliche Zeit wieder für einen Moment zurück.
Sie nahm den Deckel ab.
Gleich das oberste Foto zeigte sie als Fünfjährige
fröhlich winkend zusammen mit ihren Eltern zum Familienfoto in
der Einfahrt ihres früheren Hauses aufgestellt. Sie trug ein
knielanges Dirndl, das fanden ihre Eltern damals wohl sehr süß,
ihre strohblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, doch
fielen ihr so viele Haare ins Gesicht und waren vom Wind ganz
zerzaust, dass man deutlich erkennen konnte, was sie damals für
ein kleiner Wildfang gewesen war. Ihre Mutter hatte eine frisch
gemachte Achtzigerjahre-Dauerwelle und trug ein luftiges, bunt
geblümtes Kleid, ihr Vater trug Schnauzbart und die
obligatorischen Koteletten, ein kurzärmeliges Hemd und eine
schwarze Hose. Alle drei strahlten. Was für eine schöne
Erinnerung.
Sie kramte weiter in der Schachtel bis ihr ein kleiner
Stapel Fotos in die Hände fiel, der ihre Stimmung aufhellte. Es
waren Bilder von einem ihrer Urlaube in Italien. Auf dem, das Anna
gerade ansah, saß sie etwa achtjährig neben ihrem stolzen
Onkel Toni auf seinem neuen Fendt-Traktor inmitten eines Olivenhains
und lachte. Anton, der Bruder ihrer Mutter hatte die Tochter eines
umbrischen Winzers geheiratet, Maria Gambiano, als Anna drei Jahre
alt war. Ihre Eltern hatten ihr erzählt, dass Marias Vater sich
damals sehr gefreut hatte, dass der naturverbundene, zuverlässige
Anton seine einzige Tochter heiratete und bereit war, den Hof eines
Tages zu übernehmen. Anna und ihre Eltern hatten damals
jahrelang jeden Sommer dort ihren Urlaub verbracht. Bei dem Gedanken
kamen unzählige Bilder und Gerüche in ihre Erinnerung und
ließen ihr Herz höher schlagen. Das alte, romantische
Bauernhaus auf dem Hügel, das mit Weinranken überwuchert
war, der staubige Hof, die Zypressenallee, die die Auffahrt von der
Straße her säumte, die umliegenden Hügel voller
Weinstöcke und der Olivenhain, der direkt an der Rückseite
des Gebäudes begann, das laute Zirpkonzert der Grillen am Abend,
der allgegenwärtige Duft nach Lavendel und das deftige
italienische Essen ihrer Tante... Sie war jedes Mal gern dort
gewesen.
Später versiegte der Kontakt dann etwas, warum,
wusste Anna nicht, sie war noch zu klein. Das letzte Mal, dass sie
ihren Onkel und ihre Tante gesehen hatte, war vor neun Jahren, als
sie zu der Beerdigung ihrer Mutter kamen. Soviel sie wusste, hatten
die beiden nie Kinder bekommen. Sie konnte sich erinnern, dass Anton
ihrem Vater und ihr damals angeboten hatte, ihn zu besuchen, wann
immer sie wollten.
Na das war es doch! Annas Bauch kribbelte von dem
Gedanken. Sie würde ihre sieben Sachen packen, ihren gesamten
Jahresurlaub nehmen und ihren Onkel in Umbrien besuchen fahren! Aber
sie wollte ihn nicht vorher anrufen, am Ende hätte sie am
Telefon noch unangenehme Fragen wegen ihres Vaters beantworten müssen
und das wollte sie nicht. Sie würde
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