Italienische Märchen
und endlich riß ihr die Geduld, und sie schritt durch alle hindurch die Treppe hinauf. Da geriet alles in die größte Unordnung. Die Pimpernelle hatte keinen Raum mit ihrem Reifrock, sie stieß die Kinder hin und her und schlug ihnen mit dem Fächer auf die Nase, dazu fingen alle die Hündchen zu bellen an, und das Gefolge der Prinzessin lachte vor der Türe. Es war eine gewaltige Verwirrung.
Liebseelchen drang endlich mit der Pimpernelle zugleich in die Krankenstube; hier wollte die Mamsell wieder eine Rede anfangen; Liebseelchen aber schritt gerade auf das Bett der Kranken zu und setzte sich wie gewöhnlich zu ihren Füßen.
Welch ein Jammer überfiel Liebseelchen! Die Kranke, ein schönes, blasses Fräulein, lag kerzengerade, eingeschnürt und frisiert wie ein Haubenstock, die eine Hand rechts, die andere links auf der seidenen Bettdecke; sie bewegte sich nicht; sie sprach kein Wort; Liebseelchen sah ihr mit ihren lieben, mitleidigen Augen bis ins innerste Herz.
Die Pimpernelle trat zu ihr und sagte: »Enfin, eh bien, comment, quelle mine, parlez, eh bien, étourdie, imbecile!« und zerrte an ihr, welches auf deutsch heißt: Wohlan! wie! welche Miene! rede! nun! Ungeschickte! Einfältige! Mit diesen Worten wollte sie die arme Kranke zum Reden zwingen, und das gute Kind wollte auch gehorsamen, aber es konnte nicht und sah immer Liebseelchen an, welche auch gar nicht mehr auf die Pimpernelle hörte und die arme Kranke so innig ansah, daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten.
Als die Pimpernelle dies sah, ward sie sehr böse und wollte eben auf die Kranke zufahren und ihr ihr unschickliches Betragen verweisen; aber Liebseelchen stand auf und sagte zu ihr: »Mamsell Pimpernelle, setzen Sie meine Geduld nicht länger auf die Probe; ich bin die Tochter und Erbin Ihres Königs; mein Beruf ist, die Leidenden zu trösten; ich befehle Ihnen, nicht mich länger zu stören; lassen Sie uns allein.« Mamsell Pimpernelle machte ein sehr wunderliches Gesicht und wollte allerlei Entschuldigungen vorbringen, aber Liebseelchen, welche nie ihre Sanftmut verlor, drängte sie freundlich zur Türe hinaus, und da ihr ihre Hündchen nicht gleich folgen wollten, lockte sie diese mit Zuckerbrot zu sich und trug sie der Mamsell Pimpernelle nach, worauf sie die Türe verschloß und zu der armen Kranken zurückeilte, welche ihr den herzlichsten Dank mit einem zärtlichen Lächeln bezeugte.
»O, du arme liebe Freundin«, sagte Liebseelchen zu der Kranken, »sage mir, wie heißest du und was leidest du?« Die Kranke aber konnte sich nicht rühren und flüsterte nur leise: »Ach, ich heiße Schnürlieschen und muß sterben!« Liebseelchen kam durch den Namen Schnürlieschen auf den Gedanken, das arme Mädchen möge wohl zu enge eingeschnürt sein, und eilte nun gleich, ihr zu helfen. O du mein Jammer! was war das arme Schnürlieschen eingepanzert; ja sie hatte sogar unter der Halskrause ein eisernes Halsband, daß sie sich nicht rühren und regen konnte. Liebseelchen schnitt ihr alle Nesteln durch, und als Schnürlieschen sich wieder frei fühlte, tat sie einen tiefen Atemzug und umarmte Liebseelchen unter einem Strom von Tränen.
»Ach«, sagte sie leise, »geliebte Prinzessin, was dank ich dir! Seit zehn Jahren habe ich keinen freien Atemzug getan und nicht durch den Mund gesprochen, immer sollte ich durch die Nase reden. Ach, seit zehn Jahren habe ich mich nicht bücken können, eine Blume zu brechen, wegen dem eisernen Käfig, in dem mein Leib gepanzert war. Ach, nun kann ich doch ruhig sterben und dabei dein liebes Angesicht ansehen!«
»Halte dich ruhig, liebes Schnürlieschen!« sagte Liebseelchen. »Ich will hier zu deinen Füßen sitzen, und wenn es dir wohltut, in mein Gesicht zu sehen, so tue es nur; ich will dich so freundlich anschauen, als ich nur immer kann. Du tust mir sehr leid, ich habe dich am liebsten von allen Jungfrauen, die ich jemals gesehen. Wenn es dir nicht beschwerlich fällt, so erzähle mir ganz leise, wer deine Eltern sind, und wie du hieher gekommen bist.«
Nach diesen Worten setzte sich Liebseelchen zu Füßen des armen Schnürlieschen auf das Bett, faltete die Hände, als ob sie für sie bete, und Schnürlieschen schaute nach ihr hin, wie eine Blume, die einschlafen will, nach der untergehenden Sonne, und sagte mit leiser Stimme folgende Reime:
Es ist schon eine lange Zeit,
Mein Röckchen war hübsch bunt und weit,
Klein war ich, ohne Bücken
Könnt ich die Blumen pflücken.
Die Sonn stand tief
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