Italienische Märchen
so bedenke, daß mir deine gespaltenen nackten Beine, die in der Mitte geknickt sind, auch eben nicht sehr schön vorkommen; tue lieber das Gute, das du mir erwiesen, ganz: ziehe mir den Speer aus der Wunde und sauge mir das Blut aus und verbinde mich.‹ Ich fand ihre Worte recht vernünftig und tat, was sie von mir begehrte. Während ich das Blut aus ihrer Wunde sog und sie verband, sang sie mit einer bezaubernd lieblichen Stimme:
Süß ist mein Blut, süß ist mein Blut,
Nun wird dir das Meer nicht mehr bitter sein;
Auf stiller und auf wilder Flut
Wirst du nun der seligste Ritter sein;
Du wirst schwimmen, segeln, tauchen,
Wirst kein Schiff, kein Ruder brauchen;
Zu Füßen dir der Sturm sich schmiegt,
Und deinen Winken folgt Welle und Wind,
Das weite Meer so treu dich wiegt,
Als eine Mutter je wieget ihr Kind.
Wer aus Meerweibs Wunden trinket,
Nimmer dem sein Schifflein sinket.
Ihr Gesang war so lieblich und rann mir wie ein süßes Bächlein durch das Ohr, und ums Herz ward mir so kühl, als wenn man im heißen Sommer in klaren Wellen sich badet. Da zerrannen mir alle Gedanken, und mir war, als sänke ich immer tiefer und tiefer hinab. Ich war entschlafen, und das Meerfräulein zog mich durch die Wellen hinab, und ich konnte darin atmen wie in blauer Himmelsluft; da sah ich den Leib des bösen Schiffers in den Zweigen eines roten Korallenbaumes hängen, und häßliche Meerungeheuer fraßen sein Herz. Als wir auf den Grund des Meeres kamen, pochte das Meerfräulein an einer Türe von Perlmutter an und rief:
Korali, auf! tu auf die Tür!
Margaris deine Braut ist hier.
Da antwortete der Meermann:
Ich tu nicht auf das Perlentor,
Margaris meinen Ring verlor.
Meerfräulein: Ich bringe den Ring, den Schiffer auch,
Der ihn gefunden in Fisches Bauch.
Meermann: Den Fischer schlag ich mit Steinen tot
Und häng ihn in die Korallen rot.
Meerfräulein: Er hat gegeben sein Ruder und Netz,
Daß er mich wieder in Freiheit setz.
Meermann: So geb ich ihm Ruder und Netz so gut,
Das Fehlschlag nie noch Fehlzug tut.
Meerfräulein: Er hat gegeben sein Fischerboot,
Zu retten mich aus Todesnot.
Meermann: So lehr ich ihn bauen ein solches Schiff,
Das führt über Sand und Felsenriff.
Meerfräulein: Aus meiner Wunde saugte sein Mund
Das süße Blut, da ward ich gesund.
Meermann: So soll er nun atmen im bittern Meer,
Als ob es die lichtblaue Himmelsluft war.
Nun machte der Meermann das Perlmuttertor auf und umarmte seine Braut sehr freundlich; aber sie mußte ihm vorher den Ring zeigen, den sie nachlässig von jenem Fisch hatte verschlingen lassen, in dessen Leib ich ihn wiederfand. Der Meermann verwies ihr ihre Nachlässigkeit und sagte ihr: ›Dieser Ring ist bezaubert, und hättest du ihn nicht wiedergebracht, so wäre ich gestorben.‹ Als sie ihm aber erzählte, welche große Schmerzen und Angst sie ausgestanden, mußte der gute Meermann vor großer Teilnahme weinen und erwies ihr tausend Gutes. Mir dankte er nun recht von Herzen und gab mir alles, was er mir versprochen; erstens: ein Ruder ganz von Fisch, Schildkrot und Perlmutter, das einen nie müde macht, sondern je mehr man rudert, desto kräftiger; zweitens: ein Netz von grünen Meerfräuleinshaaren, in das die Fische mit der größten Freude hineinspringen; dann baute er mir ein Schiff aus Binsen mit Fischhaut überzogen und mit beweglichen Floßfedern wie ein Fisch, und so leicht, daß es wie eine Schwalbe über das Wasser streift. Die Gabe aber, unter dem Wasser wie auf der Erde zu leben, habe ich, seit ich die Wunden des Meerfräuleins aussaugte.
Als er mir alles das geschenkt hatte, wollte er, ich sollte auf seiner Hochzeit bleiben; aber ich sagte ihm, daß der Tag herannahe, an dem ich meinen Vater besuchen müsse, und da sagte er: ›Das geht freilich vor‹; und legte mir noch die schönsten Muscheln, Perlen und Korallen in das Schiff, und ich mußte mich hineinsetzen; er aber und das Meerfräulein faßten es an beiden Seiten, und so stieg es leise, leise mit mir dem lieben Sonnenlicht entgegen; das Schifflein kam an einem ganz einsamen, von Gebüschen versteckten Felswinkel an die Oberfläche des Wassers, der Meermann und seine Braut umarmten mich mit Tränen und baten mich, wenn ihnen Gott ein kleines Meersöhnchen schenke, sein Taufpate zu werden. Ich versprach es ihnen von Herzen, wenn sie es mir anzeigen wollten, worauf sie unter den freundlichsten Versicherungen ewiger Dankbarkeit in den Wogen verschwanden. Mein
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