Italienische Novellen, Band 1
voll Fehler erscheint, kaufen dagegen die der Deutschen, welche nach Rom gehen, in wahrer Wut auf. Und so geht es uns oftmals in beiden Fällen gerade wie in der Geschichte, die ihr gehört habt, ja noch schlimmer.
Piero Brandani
In der Stadt Florenz lebte vor Zeiten ein gewisser Piero Brandani, der seine ganze Zeit mit Prozessieren hinbrachte. Er hatte einen Sohn von etwa achtzehn Jahren, und da er nun eines Morgens auch wieder auf das Rathaus gehen mußte, um einen Rechtshandel zu vertreten, so gab er seinem Sohne gewisse Papiere und hieß ihn damit vorausgehen und ihn bei der Abtei von Florenz erwarten. Der Sohn gehorchte dem Vater, ging an den bezeichneten Ort und erwartete daselbst mit den Papieren den Vater. Es war im Monat Mai, und während der Junge so wartete, fing es an, sehr heftig zu regnen. Da kam eine Bäuerin oder Obsthändlerin mit einem Korb voll Kirschen auf dem Kopfe vorüber, und der Korb fiel ihr herunter: die Kirschen waren über die ganze Straße verstreut, und die Gosse dieser Straße war wie immer, sooft es regnet, zu einem kleinen Bache angeschwollen. Der junge Mensch machte, begierig, wie solche Leute sind, mit noch andern sich die Verwirrung zunutze und beeilte sich, die besagten Kirschen aufzulesen; ja sie liefen bis in den Bach hinein hinter denselben her. Als nun aber die Kirschen verzehrt waren und der junge Bursche sich auf seinen vorigen Standpunkt zurückbegab, fand er, daß er die Papiere nicht mehr unter dem Arm hatte, denn sie waren ihm in das Wasser gefallen und von diesem in den Arno geschwemmt worden, ohne daß er es bemerkt hatte. Er lief auf und ab, fragte da, fragte dort: es war alles umsonst, denn die Papiere schwammen bereits Pisa zu.
Der junge Mensch war darüber sehr betrübt und dachte daran, sich aus dem Staube zu machen aus Furcht vor seinem Vater. Er lief auch am ersten Tag bis Prato, wo die meisten Entwichenen oder Flüchtlinge von Florenz die erste Rast halten. Er ging in eine Herberge, wo nach Sonnenuntergang auch einige Kaufleute ankamen, nicht um die Nacht daselbst zuzubringen, sondern mit der Absicht, ihren Weg noch weiter gegen Ponte Agliana fortzusetzen. Die Kaufleute sahen, daß der junge Mensch so niedergeschlagen war, und fragten ihn, was er habe und woher er sei. Er antwortete auf ihre Frage, und sie schlugen ihm vor, sich an sie anzuschließen und bei ihnen zu bleiben. Der Knabe konnte es kaum erwarten, bis es weiterging; sie machten sich endlich auf und kamen um die zweite Stunde der Nacht nach Ponte Agliana. Sie klopften an eine Herberge, und der Wirt, der schon schlafen gegangen war, kam an das Fenster und fragte: »Wer da?«
»Mach uns auf! Wir wollen Quartier.«
Der Wirt aber sagte scheltend: »Wißt ihr denn nicht, daß es hier in der Gegend von Straßenräubern wimmelt? Es wundert mich sehr, daß ihr durchgekommen seid.«
Der Wirt hatte auch wirklich recht, da eine große Schar Verbannter das Land heimsuchte. Die Reisenden baten aber doch so lange, bis ihnen der Wirt öffnete. Als sie drinnen waren und ihre Pferde versorgt hatten, sagten sie, sie wollten zu Nacht essen. Der Wirt aber sagte: »Ich habe keinen Bissen Brot im Hause.«
Die Kaufleute antworteten: »Nun, was ist da zu tun?«
»Ich weiß kein anderes Mittel«, versetzte der Wirt, »als daß euer Bursche da irgend einen zerrissenen Kittel anzieht, in dem er recht wie ein Lump aussieht; er soll dort die Anhöhe hinuntergehen; drunten wird er eine Kirche finden, und alsdann soll er dem Ser Cione rufen, dem Pfarrer von dort, und ihm von mir ausrichten, er möge mir neunzehn Brote leihen. Ich sage dies darum, weil diese Bösewichter, wenn sie einen so schlechtgekleideten Jungen finden, nichts mit ihm anfangen werden.«
Er zeigte dem Burschen den Weg, welcher ungern ging, weil es Nacht war und man nicht gut sah. Voll Furcht, wie man sich denken kann, ging er hinweg, irrte da- und dorthin und konnte die Kirche durchaus nicht finden, bis er endlich in ein Gebüsch kam, aus welchem er etwas hervorschimmern sah, was wie eine Mauer aussah. In der Meinung, es sei die Kirche, nahm er sich vor, darauf loszugehen. Er kam auf eine große Tenne, die er für den Kirchplatz hielt. In Wahrheit aber stand er an dem Hause eines Landmannes. Er ging darauf zu und fing an, an die Türe zu klopfen. Der Landmann hörte ihn und rief: »Wer ist da?«
Der Knabe antwortete: »Macht mir auf, Ser Cione, der Wirt (er nannte den Namen) von Ponte Agliana schickt mich her, Ihr möchtet ihm neunzehn Brote
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