Italienische Novellen, Band 1
Nach dem Tode meiner Eltern blieb ich unter der Pflege meiner beiden Brüder. Nun begab es sich, daß sich Papst Urban, wie Ihr wißt, auf seiner Durchreise in Viterbo aufhielt. Dabei geschah es zufällig, daß ein Kardinal, den Ihr bald sehen werdet, durch Gottes gnädige Fügung in unser Haus kam, wo er mich sah, sich in mich verliebte und nicht nachließ, bis er mich hatte. Und als der Hof von hier nach der Provence übersiedelte, nahm mich der besagte Kardinal mit, behielt mich fortwährend bei sich, erwies mir immer die größte Ehre und hatte mich lieber als sich selbst. Als nun der Papst nach Ponte di Sorga ging, begleitete ihn dieser mein Gebieter und ließ mich mit zwei Kammerfrauen und einem Stallmeister in Avignon zurück. Einer meiner Brüder aber kam auf dem Rückwege von Sankt Jakob nach Avignon und suchte mich dort auf. Als ich eines Samstagmorgens in der Kirche von Sankt Asiderius die Messe hörte, kam mein Bruder auch hin und hatte einen seiner liebsten Kameraden bei sich. Unsere Blicke begegneten sich, und er hatte mich erkannt. Plötzlich packte er mich und schleppte mich an die Rhone auf das Schiff, das er zur Weiterreise gemietet hatte. Sobald wir uns eingeschifft hatten, wurde kein Augenblick versäumt, und es ging weiter nach Arles, nach Marseille, dann nach Nizza, von Nizza nach Genua, weiter nach Livorno und von dort nach Corneto. Oftmals hätte er mich ins Meer gestürzt, wäre nicht sein Begleiter hemmend ihm entgegengetreten; denn unterwegs auf dem Schiffe faßte der eine Neigung zu mir und verlangte mich von meinem Bruder zur Frau: dieser willigte ein, und ich war zufrieden, ihn zum Manne zu bekommen. Wir gingen sodann nach Viterbo, wo er mich unter heiteren Festen heiratete und dann in sein Haus einführte. Das Schicksal ließ ihn aber nur etwa noch einen Monat am Leben, worauf er starb. Gewiß wäre ich nicht weggegangen, wäre nicht sein Tod vorangegangen. Als er nun tot war, kehrte ich in meiner Brüder Haus zurück und blieb daselbst unter großen Mühsalen und Quälereien; denn ich hatte zwei Schwägerinnen im Hause, und ich mußte ihre Magd abgeben; ob jeder Kleinigkeit rückten sie mir vor, ich sei ein schlechtes Weib, und so hatte ich beständig zu leiden. Es begab sich nun eines Tages, daß ich einen Eilboten vorbeikommen sah, der nach Avignon ging. Ich gab ihm einen Brief mit an den Prälaten, worin ich ihm erzählte, auf welche Weise ich weggekommen war und daß ich zurückzukehren wünsche: er solle eine vertraute Person nach mir senden. Er schickte mir auf dies jenen in Nizza verstorbenen Bruder, einen ganz wackern Mann, und versprach ihm, wenn er mich nach Avignon führe, das erste Bistum, das in seiner Heimat aufgehe, solle ihm zuteil werden. Der Bruder kam nach Viterbo und fand Gelegenheit, mich in der Kirche der Augustiner zu sprechen; dort zeigte er mir einen Brief von der Hand des Kardinals und andere Zeichen. Wir setzten darauf unsere Abreise fest. Als alles im reinen war, gingen an einem Festtag meine Schwägerinnen und ich nebst andern Frauen in ein Bad, welches das Bad zur Asinella heißt. Während alle meine Begleiterinnen im Bade saßen, tat ich, als ginge ich einen Augenblick hinaus eines Bedürfnisses wegen, lief aber schnell hinweg und einem Walde zu, in welchem der Bruder mich erwartete. Dort zog ich meine Weiberkleider aus und legte diese Mönchskleider an. Wir bestiegen sodann im Augenblick zwei Pferde, die er bereitgehalten, und waren in fast drei Stunden in Corneto. Dort hatte er einen Schnellsegler bereit, den wir schnell bestiegen, nachdem wir die Pferde zurückgeschickt. Die Matrosen stachen in See, und wir hielten nirgend an, bis wir in Nizza in der Provence waren. Das Meer setzte ihm so zu, daß er umkam, wie Ihr gesehen habt; und er starb in der Tat in Verzweiflung darüber, daß er mich nicht zu seinem Herrn zurückbringen konnte. – Ihr wißt nun, wer ich bin und wo ich hingehe. Wir wollen uns nun angelegen sein lassen, es uns während dieser Reise Wohlsein zu lassen, und alle Gedanken von der Welt verscheuchen.«
So geschah es denn auch; sie gönnten sich unterwegs alle Freuden bei Tafel und im Bette, sangen und scherzten, machten kleine Tagereisen, machten sich gute Zeit und führten ein frohes Leben. Ja, die Liebe zwischen dem Bruder und dem Priester wuchs so sehr, daß es nicht zu beschreiben ist, wie sie sich miteinander hielten. Niemals hat jemand eine so vertrauliche Kameradschaft gesehen. Als sie nun nach Avignon kamen, stiegen sie in
Weitere Kostenlose Bücher