Italienische Novellen, Band 2
nicht früher, trägst du diesen Brief, den ich dir hier gebe, zu der blonden Ginevra, und wenn sie ihn nicht annehmen will, so übergibst du ihn ihrer Mutter. Hüte dich aber, so lieb dir dein Leben ist, von diesem Befehle in irgend etwas abzuweichen!«
Der Diener antwortete, er solle ruhig sein, er werde alles genau nach seiner Anordnung besorgen. Als dies geschehen war, rief Don Diego einen andern vertrauten Diener zu sich, der ein rechtschaffener und welterfahrener Mann war; diesem eröffnete er sein ganzes Herz mit seinem Plane. Der redliche Mann tadelte diesen unvernünftigen Vorsatz heftig und bemühte sich mit triftigen Gründen, ihm diese Tollheit auszureden; aber es half alles nichts, denn sein Entschluß stand fest. Als der treue und ihm herzlich ergebene Diener dies bemerkte, dachte er bei sich, es sei noch das geringere Übel, wenn er mitgehe; mit der Zeit könne er ihm schon diese Grille aus dem Kopfe treiben und, wenn er bei ihm bleibe, ihn von andren, noch schlimmeren Dingen abhalten. Er sagte also, er werde mitgehen und ihn nie verlassen. Als sie nun eins geworden waren, trafen sie die nötigen Anordnungen; in der folgenden Nacht stiegen beide zu Pferde, Don Diego auf seinen trefflichen spanischen Klepper, der wundervoll trabte, und der Diener auf einen rüstigen Gaul, der auch das Felleisen tragen mußte.
Es war etwa drei Uhr nach Sonnenuntergang, als sie abreisten. Sie ritten die Nacht durch rüstig fort, und als es anfing zu tagen, schlugen sie, um von niemandem gesehen zu werden, unbetretene Nebenwege ein, auf denen sie bis zum Mittag weiter drangen. Es war im Monat September und nicht sehr warm. Der Ritter hielt dafür, nunmehr eine gute Strecke von seiner Wohnung entfernt zu sein und den Pferden eine Erholung gönnen zu können. Er kehrte daher in ein von allen Straßen abgelegenes Bauerngehöft ein und kaufte dort, was für sie und ihre Pferde nötig war; sie aßen und ließen die Pferde etwa drei Stunden ausruhen, was sie sehr bedurften. Sodann stiegen sie wieder auf und setzten drei Tage auf gleiche Weise ihre Wanderschaft fort, bis sie an den Fuß eines hohen Berges kamen, der viele Meilen von der Landstraße entfernt lag. Die Gegend war wild und öde, mit mannigfaltigen Bäumen bewachsen und mit Kaninchen und Hasen und anderem kleinen Wild bevölkert. Es lag hier eine für viele Menschen geräumige Höhle, bei der ein frischer, klarer Quell aus dem Boden rieselte. Als der Ritter diesen Ort sah, der ihm unendlich wohlgefiel, sagte er zu dem Diener: »Bruder, hier soll mein Aufenthalt sein, solange mir dieses kurze Leben währt.«
Sie stiegen darauf beide ab, nahmen den Pferden Sattel und Zaum ab und ließen sie laufen, wohin sie wollten; auch erfuhr man nichts mehr von ihnen: denn da sie Gras abweidend sich von der Höhle entfernten, steht zu glauben, daß sie den Wölfen zur Beute wurden. Der Ritter ließ Sattel und Zaumzeug und das übrige Gepäck in der Grotte zur Seite stellen, legte seine alltäglichen Kleider ab und hüllte sich wie sein Diener in die Einsiedlergewänder, worauf sie den Eingang der Grotte dergestalt mit Ästen verrammelten, daß kein wildes Tier eindringen konnte. Die Grotte war sehr geräumig und ganz in trockenen Grund ausgehöhlt. Hier bereiteten sie sich von Buchenlaub, so gut es gehen konnte, zwei dürftige Lagerstätten und brachten auf diese Weise viele Tage zu, indem sie ihren Hunger an wilden Tieren stillten, die der Diener mittelst einer mitgebrachten Armbrust erlegte, häufig aber auch von Wurzeln, Kräutern, wildwachsenden Früchten, Eicheln und dergleichen lebten und den Durst mit Brunnenwasser stillten, was dem Ritter keine große Entbehrung war, da er keinen Wein trank. Solch ein elendes Waldleben führte Don Diego, der nichts anderes tat, als daß er die Härte und Grausamkeit seiner Dame beweinte und wie ein wildes Tier den ganzen Tag einsam durch die Bergschluchten irrte und vielleicht gerne einem Bären begegnet wäre, daß dieser ihm das Leben nehme. Der Diener ließ es sich angelegen sein, so viel er konnte, Wildbret zu erbeuten, und ermahnte seinen Herrn jederzeit, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, diese unmenschliche Lebensweise zu verlassen und nach Hause zurückzukehren und die blonde Ginevra als eine Törin zu behandeln, was sie ja auch wirklich war, da sie ihr Glück nicht verstand und nicht verdiente, daß ein so edler und reicher Ritter sie liebte. Wenn dann die Rede auf diese Dinge kam, so mochte Don Diego doch nicht leiden,
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