Italienische Novellen, Band 2
so daß, was leicht und im stillen hätte geschehen können, auf eine Weise zur Ausführung kommt, daß die ganze Insel und Frankreich obendrein zu unserer ewigen Schmach es erfahren wird; und für alles, was der König tut, wird er dir nicht dankbar noch erkenntlich sein, vielmehr wird uns nur Unehre und Spott zuteil werden. Darum, meine Tochter, bitte ich dich, es nicht bis dahin kommen zu lassen. Überlege ein wenig, wie wir hier im Hause von Dienerschaft entblößt sind, seit dein Vater und deine Brüder uns verlassen haben: denn jeder fürchtet die Wut des Königs. Siehst du nicht, daß ich um deinetwillen fast Witwe geworden bin? Dein Vater und deine Brüder haben London verlassen, um nicht solchen Hohn stets vor Augen zu haben, da sie ahnten, daß irgendein großes Ärgernis bevorstehe. Dies wird auch ganz gewiß zu unser aller Schmach und Schaden eintreffen, wenn du nichts anderes tust, als du bisher getan hast. Wie viel besser wäre es für uns gewesen, wenn der erste Tag, der dich ins Leben rief, auch der letzte gewesen, oder wenn ich an der Geburt gestorben wäre, um mich nicht jetzt in dieser Bedrängnis zu sehen! Ach, und als der Graf von Salisbury aus dem Gefängnis kam. und starb, warum bist nicht du an seiner Statt gestorben? Ich bitte unsern Herrn im Himmel, mich aus solcher Pein und Qual zu erlösen, da du dazu entschlossen bist, in solcher Starrheit zu verharren, und du dich um den Untergang des ganzen Geschlechts nicht kümmerst. Glaubst du, ich merkte nicht, daß du meinen Tod wünschest, grausame, undankbare Tochter, die so wenig Rücksicht und Liebe für ihre Eltern hat? Und freilich würde ich jetzt mehr als gerne sterben, da ich einsehe, daß es mir eine geringere Qual wäre, zu sterben, als in diesem jammervollen Kummer zu verharren, von welchem ich fortwährend mein Herz in den herbsten Schmerzen verwundet sehe.«
Mehr konnte die bekümmerte Gräfin nicht sprechen, weil sie eine heftige Ohnmacht befiel und ihr mit so außerordentlichem Schmerz das Herz zusammenpreßte und sie so unterdrückte, daß sie mehr einer Toten als einer Lebenden glich und Alix in den Schoß sank. Die Gräfin schien vollständig ins andere Leben übergegangen zu sein, so blaß war sie im Gesicht, so kalt an allen Teilen des Körpers und ohne Bewegung. Sie hätte wilde Tiere und kalten Marmor zum Mitleid gebracht, geschweige eine Tochter, die, da sie sie von so seltsamem und heftigem Anfall geplagt sah, sie für tot oder dem Tode nahe hielt, weshalb sie die Tränen nicht zurückzuhalten vermochte. Unter bitterem Weinen löste sie daher der bekümmerten Mutter die Kleider, rief tiefbewegt ihren Namen, rieb sie am Leib, bewegte sie hin und her und mühte sich ab, die verirrten Lebensgeister zurückzuholen. Sie rief sodann ihre Frauen, ließ sich warme Tücher bringen und Wasser, um es der Mutter ins Gesicht zu spritzen, die denn nach einer guten Weile schwer aufatmend wieder zu sich kam und sprach: »Weh mir, wo bin ich ?« Alix küßte sie, suchte sie aufzurichten und überhäufte sie mit Schmeicheleien und Liebkosungen aller Art. Unterdessen befiel die Gräfin eine andere Ohnmacht mit einer Beklemmung des Herzens und so heftigen Anfällen, daß in ihr von neuem jedes Lebenszeichen erlosch; weshalb man nochmals sich genötigt sah, weitere Mittel anzuwenden, um sie wieder ins Leben zurufen, und es dauerte nicht lange, bis dies geschah. Bei diesen kläglichen Anfällen konnte es nicht fehlen, daß Alix nicht aus Erbarmen mit ihrer Mutter das Herz im Leibe sich umkehrte, ihre Demanthärte einigermaßen sich erweichte und ihre Starrheit in etwas nachließ. Dieser unbesiegte Geist, dieser ihr so fester Wille, der von so vielen andern Angriffen und Entgegnungen umsonst bekämpft worden war, konnte bei einem so kläglichen Falle der Mutter nicht standhalten; übermannt von tiefgefühltem Mitleid, faßte vielmehr Alix den Gedanken, die Ihrigen aus der Mühsal zu befreien.
Als daher die Gräfin schon wieder ziemlich zu sich gekommen war und noch immer weinte und seufzte, sprach Alix auf folgende Weise zu ihrer Mutter: »Trocknet die Tränen, meine Mutter, und grämt Euch nicht mehr! Seid gutes Muts und tröstet Euch, denn ich bin geneigt und bereit, zu tun, was Ihr verlangt. Verhüte Gott, daß man je sage, daß ich den Meinigen so viel Pein verursacht habe, wie Ihr zu dulden scheint! Ich will nicht, daß mein Vater und meine Brüder um meinetwillen sich irgendeinem Schaden aussetzen; denn ich bin verpflichtet, mit aller
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