Italienische Novellen, Band 2
gleich ein heiteres Antlitz öffentlich zur Schau trug, war diese Zeit über dennoch im tiefsten Innern betrübt und machte, sooft sie Gelegenheit hatte, bei Appiano und Giulia sich Luft, weinte bitterlich über ihren Verlust und hielt ihr Schicksal für allzu schwer zu ertragen, das in voller Blüte ihrer Liebe, als die ersehnte Frucht schon im Entstehen war, ihr nach so vielen Mühen und Anfechtungen von Körper und Geist die Blüte entblättern und vernichten und jede Hoffnung entziehen sollte, jemals die Frucht zu pflücken. Appiano und Giulia trösteten sie inzwischen nach bestem Vermögen mit der Vorstellung, daß Don Giovanni sie ganz gewiß in Turin aufsuchen werde; aber sie wollte von keinem solchen Zuspruche hören, so tief war sie in Schwermut versunken. Um jedoch ihrem Gatten und ihrem königlichen Bruder keinen Anlaß zum Verdacht zu geben, zeigte sie sich äußerlich heiter und verbarg, so gut sie konnte, ihr tiefes Leidwesen.
Sie verweilten einige Tage in England, wo der König nichts unterließ, um dem Schwager und der Schwester Freude und Ehre zu machen. Der Herzog, dem die lange Seefahrt beschwerlich wurde, wollte nicht wieder den früheren Weg machen, sondern beschloß, in Calais zu landen und durch Frankreich in die Heimat zurückzukehren. Der König schenkte seiner Schwester beim Abschied einen kostbaren Diamant von mehr als hunderttausend Dukaten im Werte. Der Herzog und die Herzogin gingen also von England weg nach Calais, schickten dort die Schiffe weiter, versahen sich mit Pferden und zogen nach Paris, wo der Allerchristlichste König sie freudig und ehrenvoll aufnahm, zumal der Herzog von Savoyen Generalkapitän des Königs war. Von dort aus begaben sie sich sodann nach Savoyen, wo sie einige Tage verweilten, und dann überschritten sie die Alpen und gelangten nach Turin. Die Herzogin war äußerst betrübt, und ihr Schmerz ward um so größer, je weniger sie ihm offen Luft machen durfte; denn sie wagte ihn gegen niemand als gegen Appiano und Giulia zu offenbaren.
Was meint ihr aber, daß Don Giovanni getan habe, der nicht weniger als die Herzogin glühte? Er sah die Herzogin nicht zur verabredeten Zeit zurückkommen; er zählte nicht nur Tage, sondern Stunden; und nachdem er fünf bis sechs Tage über die Frist vergeblich gewartet hatte, war er höchlich erstaunt und fürchtete, es möchte ihr irgendein unerwarteter Zufall zugestoßen sein. Er schickte daher einen vertrauten Mann nach Galizien, um zu erkunden, was es sei. Der Bote ging hin, erkundigte sich und vernahm von den Einwohnern des Orts, die Pilgerin, die den Apostel besucht habe, sei die Herzogin von Savoyen, und der Herzog, ihr Gemahl, sei auch dahin gekommen und habe sie zu Schiff abgeholt. Der Bote kehrte zurück und erzählte dem Don Giovanni alles ausführlich. Als der Ritter diese Kunde vernahm, glaubte er, die Sache sei vorsätzlich so angelegt, und die Herzogin habe nichts anderes als ihn hintergehen wollen. Dennoch erduldete er große und unsägliche Liebespein, und es schien ihm immer, als ob seine Glut sich noch mehr entzünde und das Verlangen, die Herzogin zu sehen, jeden Augenblick wachse. So führte der unglückliche Liebende glühend und erstarrend, hoffend und verzweifelnd, und mehr als je verliebt das traurigste Leben.
Während er sich auf diese Weise verzehrte und die Herzogin nicht weniger litt als er, geschah es, daß die Deutschen mit großer Heeresmacht in Frankreich einfielen und Brand und Verheerung verbreiteten, wohin sie kamen. Der Herzog von Savoyen wurde als Generalkapitän des Königs beizeiten davon benachrichtigt und brach mit allen seinen Kriegsleuten zum Kampfe auf. Beim Abschied von Turin bestellte er neben der Herzogin zu seinem Statthalter seinen Vetter, den Grafen von Pancalieri, nebst seinem Rat. Der Graf regierte nun das Herzogtum, so gut er konnte, und teilte nach dem Befehle des Herzogs alles der Herzogin mit, so daß er stündlich zu ihr kam; und da er beständig mit ihr umging und ihre hohe Schönheit sah, wurde er aus einem Statthalter ein Bewunderer und Verehrer der Schönheit der Herzogin und verliebte sich auf diese Weise so heftig in sie, daß er keine Ruhe fand. Er hatte nie eine Frau noch Kinder gehabt; statt eines eigenen Sohnes hatte er aber einen Neffen, seines Bruders, des Herrn von Raconigi, Sohn, bei sich. Der Jüngling war am Hofe der Herzogin; er mochte fünfzehn bis sechzehn Jahre alt sein, als er hinkam, und hatte nun über zwei Jahre gedient und war ein sehr
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