Italienische Novellen, Band 2
glaubte seinem Oheim; denn er mochte sich wohl gar einbilden, er rede mit ihm im Auftrage der Herzogin. Und wer hätte einem leiblichen Oheim nicht geglaubt, wenn er ihn so zuversichtlich sprechen hörte? Der Jüngling handelte also nach dem verbrecherischen Rate des verruchten verräterischen Oheims, paßte die Gelegenheit ab und verbarg sich unter dem Bett. Die Herzogin legte sich gegen fünf Uhr nieder; der treulose, schnöde Graf aber wartete die Stunde nicht ab, die er seinem Neffen bestimmt, sondern nahm, als es sechs Uhr geschlagen hatte, damit sein Verrat nicht fehlschlage, einige Leute von der Schloßwache und drei Räte mit sich (denn als dem Stellvertreter ihres Herrn gehorchte ihm jeder, und er konnte im Schlosse aus- und eingehen, sooft er wollte) und begab sich in solcher Begleitung nach dem Schlafgemache der Herzogin, ohne irgend jemand wissen zu lassen, was er im Schilde führe. Hierauf klopfte er stark an den Eingang an, bis er geöffnet wurde, und trat mit vielen Lichtern und mit den Bewaffneten ein; er selbst hielt einen bloßen Degen in der Hand, Die erschrockene Herzogin erstaunte höchlich über dieses Verfahren und wußte nicht, was sie sagen solle, als schon der verbrecherische Graf seinen leiblichen Neffen unter ihrem Bette hervorziehen ließ, und ehe der arme Knabe ein einziges Wort hervorbringen konnte, rief er, damit er nicht aussagen konnte, daß der Oheim selbst ihm hier sich zu verstecken befohlen habe, ihm zu: »Verräter, du bist des Todes!« Damit stieß er ihm den Degen in die Brust und durchbohrte ihn vollständig. Der arme Jüngling aber fiel plötzlich vorwärts tot zur Erde. Nunmehr wandte sich der pflichtvergessene verräterische Graf an die Räte und sagte zu ihnen: »Meine Herren, es ist schon eine geraume Zeit her, daß ich mich der unzüchtigen Liebe dieses meines nichtswürdigen Vogels von Neffen versah, der einen nur zu ehrenvollen Tod erlitten hat und verdient hätte, verbrannt oder von Pferden gevierteilt zu werden. An der Frau Herzogin will ich mich nicht vergreifen; denn ihr wißt, daß in Piemont und Savoyen ein Gesetz besteht, wonach jede im Ehebruch betroffene Frau verbrannt werden muß, wenn nicht binnen Jahr und Tag ein Ritter erscheint, um für sie zu kämpfen. Ich werde dem Könige, ihrem Bruder, und dem Herrn Herzoge den Fall berichten, wie er sich ereignet hat. Inzwischen verbleibe die Frau Herzogin hier in diesen Zimmern mit ihren Frauen unter sicherem Gewahrsam!« Die Räte und alle andern Anwesenden standen bei diesem unerhörten Vorgange wie vom Donner gerührt. Die Herzogin entschuldigte sich zwar genugsam und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen, daß der arme Jüngling mit ihrer Zustimmung nimmermehr unter ihr Bett gekrochen sei: aber es half alles nichts. Die trostlose Herzogin blieb also in ihr Zimmer verschlossen. Der arme Jüngling aber wurde am Morgen in aller Stille zur Erde bestattet. Der verräterische Graf war trunken vor Freude über das Gelingen seiner Rache, schrieb durch einen außerordentlichen Boten an den König von England und an den Herzog, was mit der Herzogin vorgegangen sei, und verlangte, daß auch die Räte in gleicher Richtung schreiben sollten.
Die Herzogin war bei allen ihren Untertanen in hohem Grade beliebt, weil sie nie gerne jemandem weh tat, vielmehr alle soviel wie möglich erfreute: daher fand denn auch ihr Unglück im Lande allgemeine Teilnahme. Die Wachen, unter deren Obhut sie stand, waren nachsichtig genug, den Arzt unbeachtet bei ihr aus- und eingehen zu lassen, und mit Appianos Hilfe gelang es denn auch der Herzogin, allmählich all ihr Geld und ihre Juwelen und viel Goldmünzen in Sicherheit zu bringen. Das alles nahm Appiano in sein Haus in Verwahrung. Der König und der Herzog waren nach dem Empfang der Briefe über die erhaltene schändliche Nachricht äußerst aufgebracht. Die Sache und die Anklage des treulosen Grafen fand vornehmlich Bestätigung darin, daß er seinen eigenen Neffen aufgeopfert hatte, da man wußte, wie sehr er ihn liebte, und daß er ihn zu seinem Erben ausersehen hatte. Der Herzog antwortete seinem Statthalter und dem Rate, der alte Landesbrauch solle hierin beobachtet werden. Es wurde also vor Turin auf der Ebene zwischen der Pobrücke und der Stadt an eine hohe Marmorsäule, die zu solchen Zwecken schon vorlängst hier hingestellt war, die Anklage des Grafen von Pancalieri gegen die Herzogin angeschlagen. In welche Betrübnis die Herzogin versank, als sie den letzten von dem Herzog
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