Italienische Novellen, Band 2
verweigert habt. Ihr wißt ja, daß sich auf der offenen Straße küssen keine Schande ist, wenn Männer den Frauen begegnen.«
Die Frau besann sich ein wenig und antwortete darauf: »Ich will sehen, Herr Filiberto, ob Eure Liebe so heiß ist, wie Ihr rühmt. Ihr sollt von mir sogleich den Kuß erhalten, um den Ihr mich ersucht, wenn Ihr schwöret, etwas zu vollbringen, worum ich Euch ersuchen will. Haltet Ihr Euern Schwur, so kann ich mich überzeugen, daß ich so sehr von Euch geliebt werde, wie Ihr mir gesagt habt.«
Der unvorsichtige Liebhaber schwor, alles zu tun, was in seiner Kraft stehe. Er hieß sie befehlen, was sie wolle, und harrte begierig des Befehls der Frau. Da schlang sie ihm die Arme um den Hals, küßte ihn auf den Mund und sagte, als sie ihn geküßt hatte: »Herr Filiberto, ich habe Euch den Kuß gegeben, den Ihr von mir verlangt habt, in der Hoffnung, daß Ihr das tun werdet, was ich Euch auferlege. Mein Wille geht nun dahin, daß Ihr, um Euer Wort zu erfüllen, von heute an drei volle Jahre nie mehr mit irgend jemand in der Welt, Mann oder Weib, ein Wort sprecht, so daß Ihr also drei Jahre lang stumm bleibt.«
Herr Filiberto stand eine Weile ganz staunend da; aber so unschicklich, unvernünftig und äußerst schwer genau zu befolgen dieses Gebot ihm auch schien, so winkte er ihr doch mit der Hand, daß er tun werde, was sie ihm befohlen. Er neigte sich vor ihr, ging hinweg und kehrte in seine Herberge zurück. Dort überdachte er denn seine Lage: der harte Schwur, den er getan, trat ihm mit seinem ganzen Ernste vor den Sinn. Doch war er entschlossen, wenn er auch leichtsinnig sein eidliches Wort verpfändet, es mit aufrichtigem Beharren und vollkommener Treue zu halten. Er tat daher, als habe er zufällig die Sprache verloren, zog wieder von Moncalieri weg und begab sich nach Virle, wo er wie ein Stummer lebte und mit Gebärden und Schrift sich verständlich machte. Das Mitleid, das man mit ihm hatte, war allgemein, und jedermann konnte sich nicht genug wundern, wie er so ohne Krankheit die Redefähigkeit verloren habe. Messere Filiberto brachte indessen schnellmöglichst seine Angelegenheiten in Ordnung, bestellte einen leiblichen Vetter zu seinem Anwalt, machte sich wohlberitten und reiste, nachdem er Sorge getragen hatte, daß ihm zu gewissen Zeiten Gelder nachgeschickt wurden, von Piemont auf und ging nach Lyon in Frankreich. Er war sehr schön von Gestalt, stark gebaut und edel von Ansehen, so daß, wohin er ging und wo man sein Mißgeschick erfuhr, jeder mit ihm Bedauern hatte.
In jenen Zeiten hatte König Karl VII. von Frankreich einen grausamen Krieg mit den Engländern gehabt, der noch nicht ganz zu Ende war; denn er entriß ihnen mit Gewalt der Waffen alles wieder, was sie seit vielen Jahren den andern Königen von Frankreich abgenommen hatten. Indem er sie nun gegenwärtig aus der Gascogne und andern Gegenden vertrieb, war er auch dabei, die Normandie und andere von ihnen zu reinigen. Auf diese Nachricht beschloß Messer Filiberto, an den Hof des Königs Karl zu gehen, der eben in der Normandie war. Bei seiner Ankunft fand er unter den anwesenden Baronen einige Freunde, die ihm einen sehr guten Empfang bereiteten und ihn bemitleideten, als er ihnen zu verstehen gab, er habe durch ein rätselhaftes Mißgeschick die Sprache verloren. Er deutete ihnen an, er sei gekommen, um im Dienste des Königs das Waffenhandwerk zu üben. Über diese seine Absicht waren sie sehr erfreut, da sie ihn schon von früher als einen Mann von hohem Mute und von großer Tapferkeit kannten, und so geschah es, daß unmittelbar nach seiner vollständigen Ausrüstung mit Waffen und Pferden ein Angriff auf Rouen, die Hauptstadt der Normandie, unternommen wurde. Messere Filiberto zeichnete sich bei diesem Sturme gleich den besten Rittern des Heeres aus, und König Karl bemerkte mehrmals von ihm Handlungen eines tapfern und klugen Kriegers. So trug er nicht wenig dazu bei, daß Rouen bei einem zweiten Sturme fiel.
Nach erfolgter Einnahme von Rouen ließ der König Messer Filiberto vor sich rufen, um zu erfahren, wer er sei, und um ihm den verdienten Lohn seiner Taten zu geben. Und als er darauf hörte, daß er einer der Herren von Virle in Piemont und vor kurzem ohne ersichtliche Veranlassung stumm geworden sei, so behielt er ihn als Kammerherrn mit Verleihung des üblichen Gehalts bei sich und ließ ihm zweitausend Franken gleich bar auszahlen, indem er ihn ermahnte, ihm ferner so zu dienen, wie er bereits
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