Italienische Novellen, Band 2
Pietro, der allein bei ihm im Zimmer war, keinem Menschen etwas von dem Tode seiner Gattin zu sagen und noch weniger jemand die Übereilung zu verraten, der er sich durch den eigenen Angriff auf sein Leben schuldig gemacht habe, hieß ihn zwei Pferde bereit zu halten, um nach Verona zu reiten, und sagte: »Ich will, daß du unterderhand wieder von hinnen gehst und, nach Verona zurückgekehrt, meinem Vater kein Wort von meiner bevorstehenden eignen Ankunft sagst, sondern vielmehr Sorge trägst, daß ich Brechwerkzeuge vorfinde, um die Gruft zu öffnen, in der meine gestorbene Gattin ruht, und Stützen, um die Deckplatte abzusteifen: denn ich gedenke diesen Abend in Verona zu sein und werde geradesweges nach dem Häuschen hinter unserem Küchengarten kommen, das du bewohnst, von wo ich mit dir in der dritten oder vierten Stunde der Nacht nach dem Kirchhofe gehen werde, mein unglückliches Weib noch einmal im Tode zu sehen. Des anderen Morgens früh entferne ich mich unerkannt wieder; du folgst mir in einer kleinen Weile, und wir kehren hierher zurück.«
Nach diesen Worten schickte er den getreuen Pietro von dannen, und als derselbe fort war, schrieb Romeo einen Brief an seinen Vater, worin er ihn um Vergebung bat, sich ohne seinen Willen vermählt zu haben, und ihm die Geschichte seiner Liebe vortrug, ihn aber zugleich dringend ersuchte, für Julia als für seine Schwiegertochter ein feierliches Totenamt halten zu lassen und dessen alljährliche Wiederholung aus seinen Einkünften zu stiften, die er von einer kürzlich gestorbenen Tante ererbt hatte. Desgleichen sorgte er für Pietro, damit derselbe in Zukunft ein freies Auskommen hätte, bedachte von dem ersten Ertrage der Hinterlassenschaft seiner Tante die Armen und legte seinem Vater die Erfüllung dieses seines letzten Willens an das Herz. Diesen Brief siegelte er zu und steckte er sich in den Busen. Hierauf nahm er ein Fläschchen mit starkem Gifte, kleidete sich auf deutsche Weise und stieg zu Pferde, indem er den Seinigen, die er zurückließ, zu verstehen gab, daß er nächsten Tages zu früher Zeit wieder bei ihnen sein werde, und niemand zu seiner Begleitung mit sich nahm.
Scharf zureitend erreichte er Verona zur Stunde des Avemaria und suchte unverzüglich Pietro auf, der in allem nach seinem Willen getan hatte, und mit dem er sich zu der vorbestimmten nächtlichen Weile nach der Zitadelle und auf den Kirchhof von San Francesco begab. Hier hatten sie alsbald Julias Gruft ausgefunden und öffneten sie mittelst dazu mitgebrachter Werkzeuge, indem sie die Deckplatte mit festen Stützen offen erhielten. Eine kleine Blendlaterne, die Pietro auf Romeos Geheiß mitgebracht hatte, war ihnen dabei besonders dienlich. Romeo stieg hinein und sah sein geliebtes Weib augenscheinlich tot vor sich liegen. Er sank auf der Stelle bewußtlos an Julias Seite nieder und blieb so eine lange Zeit mehr tot als lebendig in seinem Schmerze liegen. Zu sich zurückgekommen, umschlang er sie mit seinen Armen, küßte sie wiederholt und badete ihr erstarrtes Angesicht mit seinen heißen Tränen, ohne daß ihn deren bittere Flut irgend zu Worten kommen ließ. Zum Sterben entschlossen, zog er endlich sein kleines Fläschchen hervor, setzte es sich an den Mund und trank das tödliche Gift mit einem Zuge aus. Darauf rief er Pietro vom Kirchhofe herbei und sprach zu ihm, sich an den Rand der Gruft lehnend: »Seht hier, o Pietro, meine Gattin, von der du weißt, wie sehr ich sie liebte! Ohne sie fortzuleben, würde mir ebensosehr unmöglich gewesen sein, als ein Körper ohne Seele bestehen kann. Ich habe deswegen von dem Schlangenwasser getrunken, das den Menschen in weniger Zeit als einer Stunde tötet, damit ich an der Seite derjenigen stürbe und begraben würde, die ich im Leben so sehr liebte, ohne für sie leben zu dürfen. Sieh hier das leere Fläschchen, in dem das Wasser war! Du erinnerst dich, daß es mir jener Spoletiner in Mantua gab, der die lebendigen Nattern und andern Schlangen hatte. Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit verzeihe mir; denn ich habe mich nicht selbst getötet, um ihn zu beleidigen, sondern weil ich nicht ohne meine geliebte Gattin leben kann. Du siehst mir zwar jetzt die Augen voller Tränen stehen; glaube aber ja nicht, daß ich aus Mitleiden mit mir selbst weine, der ich so jung sterbe: meine Tränen fließen nur um ihres Todes willen, die eines langen glücklichen Lebens so würdig war. Du übergibst hier diesen Brief meinem Vater, dem ich
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