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Italienische Novellen, Band 2

Italienische Novellen, Band 2

Titel: Italienische Novellen, Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene Autoren
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aller Freuden, die ich auf dieser Welt genossen habe, du mein einziger wahrer Freund, welch unsägliches Leiden bereitest du mir jetzt! Du hast in der Blüte deiner schönen Jugend deine irdische Laufbahn vollendet und ein all den Deinen so teures Leben von dir geworfen! Du hast schon in einer Zeit sterben wollen, wenn das Dasein noch allen Menschen erfreulich ist, und hast unser aller endliches Ziel erreicht. Du, mein Gebieter, hast im Schoße derjenigen deine Tage beschlossen, die du über alles liebtest, und von der du auch ausschließlich wieder geliebt wirst; du hast dich freiwillig da bestatten wollen, wo, wie du glaubtest, sie bestattet ruhte. Aber du sahest nicht meine Tränen und meinen Schmerz voraus, die dir folgen würden, du ahntest es nicht, daß du, in jener anderen Welt ankommend, mich nicht findest. Ich weiß es, daß du zurückkehren würdest, wenn du mich dort nicht fändest, um zu erforschen, ob ich dir nicht folgte. Mich deucht, ich sehe schon deinen Geist, wie er hier umirrt und über mein langes Zögern trauert. Mein Romeo! Ich sehe dich, ich empfinde dich, ich erkenne dich, und ich weiß es, daß du auf meine Ankunft harrst. Befürchte nicht etwa, daß hier meines Bleibens ohne dich sein könnte! Ein Leben ohne dich würde mir viel angstvoller und peinlicher als der bitterste Tod sein. Ohne dich könnte ich nicht leben, und selbst wenn andere dafür hielten, daß ich lebte, würde mir ein solches Leben ein unablässiger qualenvoller Tod sein. Ja, mein geliebter Gatte! Bald bin ich wieder und auf ewig mit dir vereint.«
    Pietro und der Klosterbruder, die sie umgaben, weinten, von tiefem Mitleiden mit ihr ergriffen, und bemühten sich vergebens, sie zu beruhigen. Bruder Lorenzo sagte zu ihr: »Geschehene Dinge, meine Tochter, lassen sich nicht ändern. Wenn dein Romeo durch Tränen wiedererweckt werden könnte, wir würden uns für dich in Tränen auflösen; aber es geht nicht an. Tröste dich und lebe, und wofern du nicht nach Hause zurückkehren willst, so laß dich von mir in ein heiliges Kloster bringen, in dem du, dem Himmel dienend, für die arme Seele deines Romeo beten magst.«
    Julia wollte ihn indessen auf keine Weise hören, sondern beharrte auf ihrem grausamen Entschlusse und beklagte nur, daß sie Romeos Leben nicht mit dem ihrigen zurückerkaufen könne, indem sie, mit ihrer ganzen Willenskraft ihren Atem in sich festhaltend, ohne weiter einen Laut von sich zu geben, über Romeos entseeltem Körper, der in ihrem Schoße ruhte, starb.
    Derweil die beiden Klosterbrüder und Pietro um die Jungfrau beschäftigt waren, von der sie nicht anders meinten, als daß sie nur in Ohnmacht gesunken sei, siehe, da wollte es der Zufall, daß die Scharwache bei der Kirche vorüberkam, Licht in der Gruft erblickte und eintrat. Die beiden Mönche und Pietro wurden von ihr alsbald festgenommen, und nachdem sich der Führer der Schergen das Schicksal der Liebenden von ihnen hatte erklären lassen, brachte er die Klosterbrüder in gute Haft und führte Pietro vor Herrn Bartolomeo, dem er einen umständlichen Bericht von dem Ereignisse, soweit es ihm bekannt war, erstattete. Herr Bartolomeo ließ sich alles genau vortragen und wollte dann die Leichen der beiden Liebenden selbst sehen, weshalb er sich erhob und mit anbrechender Morgenröte nach der Gruft ging. Die Nachricht von dem verwundernswürdigen Ereignis verbreitete sich durch die ganze Stadt, und vornehm und gering strömte dem Kirchhofe in Menge zu. Pietro und die Mönche erlangten Verzeihung, und zum höchsten Leidwesen der Capelletti und der Montecchi sowie der gesamten Bevölkerung von Verona wurde das unglückliche Liebespaar, dem Willen des Fürsten zufolge, in dieser einen und derselben Gruft auf das prachtvollste zur ewigen Ruhe bestattet. Die Montecchi und Capelletti umarmten sich unter Tränen über den beiden Leichen und stifteten miteinander einen Frieden, der nur, leider!, nicht von langer Dauer war. Der Vater Romeos las den Brief seines Sohnes, und nachdem er ihn innigst beklagt hatte, erfüllte er seinen Willen vollständig. Über dem Grabe der beiden Liebenden ward folgende Grabschrift angebracht:
Hinüber wähnte Romeo gegangen
Sein süß Gemahl und wollte nicht mehr leben:
Da hat er sich in ihrem Schoß vergeben
Mit jenem Gift, das Namen trägt von Schlangen.
     
Als sie des Irrtums schwere Kund' empfangen,
Beklagt sie weinend ihr geliebtes Leben,
Flucht dem Geschick und klagt mit Widerstreben
Den Himmel an, daß er sich arg

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